Reinhard hat geschrieben: ↑15 Apr 2023 10:09
Genetische Untersuchungen haben ergeben, dass sich Männer seltener fortpflanzten als Frauen. Heißt: viele Männer fielen durch und mit denen haben sie sich eben nicht gepaart.
Da ich mich kürzlich durch das Buch "Die Himmelsscheibe von Nebra" gelesen habe, möchte ich folgende (mir zumindest so nicht bewusste) Gedanken aus der Forschung beitragen:
Dass sich Frauen in landwirtschaftlichen Kulturen mit einem recht engen Pool Männer paarten, hat nach Stand der Dinge wohl absoliut gar nichts mit den Partnerwahlvorlieben der Frauen zu tun. Sondern mit den Macht-. und Reichtumsverhältnissen der Männer (oder genauer wohl: der Machtelite; denn das waren nicht nur Männer) im Patriarchat sowie den ökonomischen und gesundheitlichen Lebensverhältnissen.
Ich kann nicht beurteilen, inwieweit die Autoren des Buches den Stand der Forschung objektiv wiedergeben. An einigen Stellen scheint mir die persönliche Interpretation in den Vordergrund zu drängen, Andererseits halte ich ihnen eine außerordentliche Sachkenntnis zu Gute.
Zum Hintergrund sollte man meines Erachtens wissen: Die Autoren nehmen die Himmelsscheibe zum Anlass, um tiefergehend zu analysieren / zu forschen, welche Art von Gesellschaft dieses Objekt hervorbringen konnte. Das ist - zumindest in der 2. Hälfte des Buches - spannender als ich vermutet hätte. Die Himmelsscheibe ist wohl ein zentraler Beleg für eine ca. 400 Jahre bestehende "Hoch"kultur ("Aunjetitz") im heutigen Mitteldeutschland, etwa zeitgleich mit den altägyptischen Hochkulturen der "Pyramidenpharaonen". Ein ökonomisches Machtzentrum.
Allgemein - weltgeschichtlich - war die Einführung der landwirtschaftlichen Lebensweise anfänglich eher kein Fortschritt, sondern aus der Not geboren. Mangelernährung, Krankheit und niedrigeres Lebensalter gingen damit einher. Die Kindersterblichkeit war hoch. Dies wiederum wurde durch höhere Geburtenraten kompensiert. Die Frauengesundheit ging damit runter bzw., die Frauensterblichkeit hoch.
Dies wiederum könnte nur bei denen gut gehen, die in der allgemeinen Krise genug Essen und andere Lebensnotwendigkeiten, um ein Kind groiß zu bekommen, hatten. (Was in Aunjetitz duch diverse günstige Umstände wohl der Fall war). Kurz: ein gewisser Flaschenhals mitsamt des ökonomischen und sozialen Mechanismus, dass sozial und ökonomisch hoch stehende Männer die verfügabren jungen, (noch) gesunden und eine Schwangerschaft möglicheriweise überlebenden Frauen schwängerten, war gelegt. Was die Frauen (und sonstigen Männer) sexuell wollten, war da erst mal völlig uninteressant; und später hatten sich dann sozial-kulturelle Gebräuche etabliert (die dann und heute mit "wir sind halt so, weil wir schon gestern so waren" zementiert werden ...). Mit Genetik und Vorlieben hatte das wenig zu tun, außer, dass beides natürlich auch reinspielt.
In nicht-landwirtschaftlichen Kulturen herrschten Horden/Stammeskulturen. Da hatten Frauen wie Männer 1. eine überschaubare Auswahl - und unter der Annahme einer ca. 1:1 Geschlechtsverteilung kann man davon ausgehen, dass die allermeisten sich irgendwie gefunden haben (oder per Auswahl der Gruppe "gefunden wurden") und halt ein paar übrig blieben. Spirituelle Enthaltsamkeit ist auch keine moderne Erfindung. 2. Hatten Frauen da im Schnitt 2 bis 4 Kinder, im "gesunden" Abstand von mehreren Jahren. Die Frauen- und Kindersterblichkeit war deutlich geringer. 3. Zu allen Zeiten war es wohl üblich, dass Frauen in Nachbargesellschaften verheiratet wurden, um Frieden/Bündnisse zu besiegeln. Damit waren hochstehende Frauen zugleich eine Art wandelnder Bibliothek, denn sie brachten Wissen aus anderen Kulturen mit, gaben dies an ihre Nachkommen weiter, usw. Man könnte auch sagen: Frauen - zumindest einige - hatten eher den Überblick und wurden allein deshalb schon hoch geschätzt. Man darf nicht vergessen, dass es sich um Verhaltensweisen handelt, die über Jahrtausende und zig-Generationen gepflegt wurden - da kommt was zusammen. (Kulturell gepflegte mündliche Überlieferung ist ein viel mächtigeres Werkzeug, als uns in unserer schriftsprachlichen Welt bewusst ist.) Zudem dürfte diese quasi "ewige" Tradition dazu geführt haben, dass potentiell zum "in die Fremde geben" vorgesehene Mädchen gewisse soziale Verhaltensweisen beigebracht wurden, die ihnen das erleichterten; und ergo heute "das sozialere Geschlecht" sind (ich wage zu behaupten: wenn überhaupt, dann war das mal, weil zumindest hierzulande diese Fähigkeiten nicht mehr so eine besondere Funktion haben).
Bis die Verhätnisse sie dann zu austauschbaren Gebärmaschinen machten. Wobei "die Verhältnisse" dann eben durch die Nicht-Kinder-Gebärenden, also Männer und/oder wenige privilegierte Frauen, repräsentiert sind.
Es fielen halt nicht nur viele Männer durch. Es fielen auch viele Frauen und Kinder durch, die wg. einer Serie Schwangerschaften unter Bedingungen von Mangelernährung und körperlicher Schwerarbeit, verbunden mit allerlei neuen Seuchen (ebenfalls der landwirtschaftlichen Lebensweise sowie dem Wanderungsdruck durch wachsende Bevölkerungszahlen geschuldet), nicht die besten Chancen hatten.
Die Autoren kommen zu dem interessanten Schluss, dass archäologisch/historisch belegt die "moderne Lebensweise" in sozialöökonomisch abgestuften Gesellschaften - eine Konsequenz des hohen Wertes fruchtbaren Bodens, der Kenntnis und dem Zugang zu Metallbearbeitung, und eben der landwirtschaftlichen Nutzung - für die wenigsten ein Fortschritt, aber für die meisten ein Rückschritt war.
Den Menschen ging es in jagenden und sammelnden Horden/Stämmen besser, und sie waren weniger Standesunterschieden ausgesetzt (= "freier"). Was nach Darstellung der Autoren durch die Analyse der menschlichen Überrreste aus entsprechenden Epochen belegt sei. (Wo immer landwirtschaftliche "Hoch"-Kulturen untergingen und sich wieder "zurückentwickelten", wiesen die zeitlich vorherigen sowie folgenden menschlichen Überreste auf insgesamt bessere Ernährung, Gesundheit und höheres Durchschnittsalter hin.)
Wenn man das so annimmt, dann wage ich zu behaupten: falls zunehmende Freiheit der Frauen tatsächlich zum (Paarungs)Nachteil für Männer gereichen sollte, dann, weil die Männer (noch) nicht frei genug sind, zumindest im Kopf.
Generell denke ich aber, dass zumindest in unseren hiesigen Gesellschaften ein wesentlicher Faktor für die Partnerwahl das Kommunikations- (und somit auch Sozial-)Verhalten ist. Alles andere spielt auch ne Rolle, ist aber irrelevant, wenn die Kommunikation nicht passt. Und da wiederum gibt es heutzutage eine große Auswahl an sozialen Gruppen und Nischen mit ihren jeweiligen Spezifika, die sicher größer ist als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Und ganz sicher ist immer noch nicht für aber auch wirklich jeden das Passende dabei (oder in Sicht). Das wird aber wohl auch nie der Fall sein.
Der Mensch ist ein soziales und bwusstseinsfähiges Wesen in einer teils natürlichen, teils selbst geschaffenen materiellen Welt, sowie einer selbst geschaffenen geistigen Welt
Jeder Versuch, seine Natur biologistisch oder genetisch oder per Marktkonkurrenz oder sonstwie unter Rückgriff auf einzelne Phänomene zu erklären, ist weder das eine noch das andere, weil wesentliche Aspekte des Menschseins ausgeblendet sind.
Wobei mir die Entwicklung der Informationstechnik einen gewissen Rückschritt herzustellen scheint, aus diversen Gründen (ähnlich dem Zwang zur Landwirtschaft, nur dass wir uns diesen Zwang selbst schaffen, und er nicht zu einer durchschnittlichen Verbesserung der Lebensbedingungen des Einzelnen führt...) - aber das wird man erst hinterher wirklich wissen können ...Ach ja, und: zunehmende materielle und soziale Ungleichheit in Gesellschaften ist ab einem bestimmten Punkt wohl schon immer konfliktträchtig und auf Dauer gesellschaftszerstörend gewesen. Im Umkehrschluss: Freiheit ist dauerhaft nur mit sozialem Ausgleich zu haben. Zumindest war es wohl bisher so, unter Menschen. Jetzt müssten sie es nur noch einsehen ...
Nutzungsregeln: Mediale Äußerungen von Menschen ersetzen keine Begegungen. Was du hier schreibst, bist nicht du. Was ich hier schreibe, bezieht sich nicht auf dich. Nur auf deinen Beitrag. Ich schreibe meine Meinung, deren Bedeutung in deinem eigenen Ermessen liegt. Vergiss, was dir nichts nützt.