Nachdem ich es jetzt eine Weile vor mir hergeschoben habe, will ich jetzt auch mal meine Erfahrung beisteuern. Ich weiß jetzt nicht, ob sie direkt unter Sozialphobie fallen, aber ich erzähle jetzt einfach mal.
Bei mir war es (und, teilweise, ist es immer noch) so, dass ich in einer sozialen Situation relativ wenig Ängste habe, mein Problem war ein starkes Vermeidungsverhalten vor dem Beginn. Also jetzt bezeichne ich es als Vermeidungsverhalten, solange man noch drin steckt in den Denkmustern, kommt einem das Vermeiden so furchtbar logisch vor.
In meinem
Vorstellungsthread habe ich schon ein Beispiel dafür gebracht. Obwohl ich hungrig war, konnte ich mir einreden, dass ich doch gar nichts zum Essen brauche, dass ich es noch eine Weile aushalte und daheim gibt es eh besseres Essen und so weiter. Alles mögliche, nur um nicht aus der anonymen Masse heraustreten zu müssen und sagen
"hier bin ich!" (... und verkauft mir eine Bratwurst, oder was ähnlich Banales). Vielleicht ist bei den banalen Sachen die Hemmschwelle kleiner, aber die Motivation eben auch, und dann siegte öfters mal die Hemmschwelle ...
Telefonieren ist ein weiteres Topic. Oder genaugenommen: das Anrufen. Mit einem Telefonat habe ich wenig Probleme, mit dem Angerufenwerden auch nicht, aber selber wo anrufen ist ebenso ein Moment des Heraustretens aus der Anonymität. Sogar noch schlimmer als persönlich mit jemanden in Kontakt zu treten, aus Sicht meiner Wahrnehmung, man weiß ja nie, ob man wen bei was unterbricht und so.
Das große Problem dabei ist, dass es diesen Moment des Heraustretens aus der Anonymität bei fast jeder Interaktion mit anderen Menschen gibt. Etwas kaufen (vielleicht an der Supermarktkasse ausgenommen), einen Kollegen was fragen, einen Termin vereinbaren, einen Antrag stellen, irgendwo was abholen und so weiter. Oh -- natürlich -- auch Frauen ansprechen. Das war alles bei mir mit irgendwelchen Gedanken verbunden, ob es das braucht oder ich es anders lösen kann oder einfach liegenlassen kann und irgendwer wird sich schon bei mir melden. Was nicht heißt, dass ich alle diese Sachen nicht konnte, aber letztendlich habe ich sowas vergleichsweise selten gemacht. Die wichtigeren Sachen noch eher, aber manches fällt halt hinten runter.
Irgendwann hat sich daraus dann ein gewisser Änderungsdruck ergeben. Leidensdruck in dem Sinne war es nicht, ich habe mich damit nicht schlecht gefühlt. Es war dann eher so ein rationaler Gedanke, dass es mit der Lebensweise wohl kaum dauerhaft so weitergehen könnte und ich was ändern muss. Wenn man es sich überlegt, was man alles ändern könnte, fallen einem gleich viele Sachen ein. Aber als konkreter Ratschlag für Leute, die in ähnlicher Lage stecken: man muss nicht alles gleichzeitig ändern oder mit dem Größten anfangen. Irgendwelche kleinen Änderungen in greifbarer Nähe wird es doch geben. Sachen, für die man nicht viel Überwindung braucht. Oder nur einen kleinen Anstoß.
Beispielsweise habe ich früher mal meinen Morgenkaffee daheim getrunken, bevor ich in die Arbeit gefahren bin. Irgenwann mal hat die Kaffeemaschine so langsam den Geist aufgegeben, und weil ich trotzdem meinen Kaffee haben wollte, habe ich mir dann auf dem Weg in die Arbeit einen Halt an einer Bäckerei eingelegt. Für mein "Das brauche ich doch nicht" Selbst wäre das nicht gleich wegrationalisiert worden.
So war ich schon mal da und die Hemmung hat sich abgebaut, und danach ein paar Tage in Folge und so habe ich es geschafft, das gleich zu einer Gewohnheit zu machen, auch wenn ich mittlerweile wieder eine funktionierende Kaffeemaschine habe. Gewohnheiten machen die Sache einfacher, man rätselt nicht mehr jeden Tag, ob man denn heute soll oder nicht, oder woanders als sonst.
Ein anderes Mittel gegen meinen inneren Schweinehund: Fluchtreflexe ins Leere laufen lassen. Man kann sich schlecht einreden, dass man etwas einfacher zuhause bekommt, wenn man mehrere Fahrstunden davon weg ist.
Bei mir waren das dann AB-Treffen, aber das kann natürlich jeder anders handhaben ...
Zumindest bei mir haben solche "Einzelerfolge" auch dazu geführt, dass ich insgesamt Hemmungen abgebaut habe.
Vielleicht liegt das daran, dass ich die Vermeidung eher schon vor der sozialen Situation zeigte als währenddessen und das "Davor" ist doch oftmals recht ähnlich. Andererseits bin ich immer noch recht zurückhaltend. Aber irgendwo ist das ja auch OK, ich muss mich ja auch nicht komplett umkrempeln ...