Sexualität im ethnologischen Kontext

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ERSTER BEITRAG DES THEMAS
HenryD.Thoreau

Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von HenryD.Thoreau »

Ich habe hier bereits vor kurzem einen Beitrag über die Verbindung des Kapitalismus mit den vielfältigen Problemen unseres Leben geteilt. Nun möchte ich dieses nochmal etwas anders formulieren.

Ich habe mir vielfältige Berichte über den Umgang mit der Partnersuche und Sexualität von indigenen Völkern angeschaut. Hier gibt es viele fundamentale Unterschiede. Vielleicht kann hier jeder etwas für sein Leben mitnehmen. Mir geht es gar nicht um die Frage, warum und wieso es heute anders ist. Es soll einfach anregend und interessant sein, aber auch sehr lange:

Die sozialen Einrichtungen dieser Kulturen erleichterten und schützten die sexuellen Gefühle und Wünsche Jugendlicher. Die Kinder solcher Gesellschaften begannen spontan im Alter von fünf oder sechs Jahren ihre Interessen weg von der kindlichen Mutterbindung auf Kontakte mit anderen Kindern auszuweiten. Ab diesem Alter schlossen sie sich Gruppen Gleichaltriger und verbrachten einen großen Teil der Tage und Nächte in gemischten Gruppen von Kindern und Jugendlichen beiderlei Geschlechts. Das Besondere an diesen Kindergruppen war das Fehlen jeglicher Kontrolle oder Beaufsichtigung und die auf Übereinstimmung beruhende, sich selbst regulierende Art, in der die Kinder ihre täglichen Aktivitäten einteilten und bestimmten. Bei den Kindern dieser Kulturen wurden auch sehr starke sexuelle Interessen beobachtet, und schon in sehr frühem Alter spielten sie sexuelle Spiele. Im Umgang mit anderen Kindern eigneten sie sich spielerisch das Wissen über sexuelle Dinge, einschließlich des Geschlechtsverkehrs an. Während der späteren Kindheit und Jugend schliefen sie in speziellen, für junge Leute bestimmten Unterkünften. Sie schliefen ziemlich regelmäßig miteinander, meist jede Nacht, wobei die Jüngeren zunächst möglichst viele Erfahrungen mit wechselnden PartnerInnen sammelten.

Die Murias, ein Volk in Indien, leben so, wie sie es schon immer taten: von der Landwirtschaft und vom Jagen und Fischen. Sie wurden vom Hinduismus kaum berührt. Ebenso haben sie eine Einrichtung bewahrt: Das Ghotul - das Haus der Kinder. Die Eltern behalten nur ihre Babys bei sich und alle anderen Kinder der Dorfgemeinschaft leben zusammen in diesem Haus, welches sie selbst gebaut haben. Alleine, ohne Beaufsichtigung von Erwachsenen. Es ist eine unabhängige Republik von Minderjährigen, in welcher sie nach ihren eigenen Regeln leben.

Ganz selbstverständlich schlafen hier die Kinder zusammen in einem Bett. Untereinander Massieren die Mädchen die Jungs, und kämen sich das Haar. Das Ghotul dient auch zum Erlernen der Sexualität. Hier bricht keine unterdrückte sexuelle Begierde durch, wie man sie sich bei einer uns vorstellen könnte. Ganz selbstverständlich lieben sich die Kinder in diesem geschützen Rahmen. Es kommt im Ghotul nicht vor, dass man gezwungen wird etwas zu lernen oder zu tun. Falls ein Junge versuchen solle ein Mädchen zu irgend etwas zu zwingen, oder er gegen ihren Willen zärtlich zu ihr ist, wird er auf der Stelle bestraft werden.

Das Volk der Nenzen, Rentiernomaden im Norden Russlands, praktiziert ein etwas andere Sexualisierung. Diese Menschen leben in Tschums, das sind Tipis oder Jurten, mit einem großen Raum für alle Personen. Hier drin lebt die ganze Familie mit Kindern und Großeltern. Aufgrund der eisigen Temperaturen, muss alles möglich eng gestaltet sein. Da hier die Kinder oftmals im gleichen Bett schlafen, gibt es absolut keine Privatsphäre. Kinder sehen ihren Eltern deshalb zweifelsohne beim Sex zu. Die Eltern trefen hier auch keine besonderen Vorkehrungen, damit ihre Kinder sie nicht beim Geschlechtsverkehr beobachten. Sie schimpfen höchstens mal mit dem Kind und sagen ihm, es soll eine Decke über den Kopf legen. Wenn Kinder alt genug sind, um mit anderen Kindern näheren Kontakt zu haben, ahmen sie auch in ihren Spielen den Geschlechtsverkehr der Eltern nach.
Wenn sich nun ersten Liebschaften bilden, so kennen die Nenzen auch hier wenig Privatsphäre. Die neue Frau im Tschum wird mittels verschiedenster Initationsriten in die Familie eingeführt. So gehört auch der Geschlechtsverkehr zu einem normalen Rituell, dem die Familie zwar nicht unbedingt beiwohnt, aber auch nicht extra Rücksicht nimmt. Im Allgemeinen gehört für sie die Sexualität genauso dazu, wie andere Handlungen des täglichen Alltag.

Abschließend kann man sagen, dass durch den viel engeren Kontakt zu Gleichaltrigen und auch altersverschiedenen Kindern, die Naturvölker viel schneller etwas wie Sexualität erfahren. Es gibt in diesen Gesellschaften keine Ausgeschlossenen, Gemobbten, Einzelgänger. Alleine kann bei diesen Völker keiner überleben. Es ist nicht wie in unseren modernen indivdualistischen Gesellschaften. Es gibt keine Single- Haushalte. Es gibt bei diesen Völker keine Menschen die mit 30 noch keine sexuellen Erfahrungen hatten. Daher ist das Phänom AB in jedem Fall mit unserem derzeitigen Gesellschaftssystem verbunden.
Die Kinder lernen früh spielerisch was es bedeutet das andere Geschlecht intim kennenzulernen. Bei uns werden solche Spielchen oftmals von Eltern oder Erzieherin unterbunden. Dies führt dazu das man Sexualität gleich als etwas Verbotenes, Geheimnis oder Peinliches sieht. Wir sollten die Kinder ruhig schon früh, an solchen Spielchen teilhaben lassen. Es gehört zur Entwicklung dazu, damit die Kinder später souveräner damit umgehen. In diesen Gesellschaften kommt es zudem in keiner Weise zu Kindermißhandlungen, vorehelichen Schwangerschaften und keiner Prostitution. Auch die späteren Ehen weißen eine unglaubliche Stabilität und hohe sexuelle Aktivität auf.
Sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung für alle Altersstufen ist ein Kennzeichen dieser Gesellschaften, auch wenn es nicht überall ein eigenes Kinderhaus gibt.
Ich habe noch weitere Geschichten und Berichte dieser Völker, gerade in Polynesionen geht man nochmals ganz anders mit Sexualität um. Aber ich belasse es jetzt erstmal dabei und hoffe ein wenig zum Nachdenken angeregt zu haben!

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Lilia
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Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Lilia »

Du weißt schon, dass solche Beiträge oft dazu benutzt werden, Pädophilie zu rechtfertigen?
Sicher sind Kinder nicht asexuell, aber das bedeutet nicht, dass jedes Kind im Vorschulalter sexuell aktiv ist oder sein will.
„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“ (Rumi) - https://www.ab-forum.de
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Reinhard
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Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Reinhard »

Lilia hat geschrieben: 30 Mai 2019 13:40 Du weißt schon, dass solche Beiträge oft dazu benutzt werden, Pädophilie zu rechtfertigen?
:gruebel: Gerade wenn Erwachsene bei den Minderjährigen keinen Zutritt haben, eignet sich das doch nicht. :gruebel:

Lilia hat geschrieben: 30 Mai 2019 13:40 Sicher sind Kinder nicht asexuell, aber das bedeutet nicht, dass jedes Kind im Vorschulalter sexuell aktiv ist oder sein will.
Das wurde wohl auch nicht behauptet?
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AviferAureus

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von AviferAureus »

HenryD.Thoreau hat geschrieben: 30 Mai 2019 13:27 [...] Daher ist das Phänom AB in jedem Fall mit unserem derzeitigen Gesellschaftssystem verbunden. [...]
Dass es keine ABs gibt in diesen Gruppen, mag ich nur schwer glauben. ... the lowland forests of Bolivia...Like most pre-industrial cultures the Tsimane are mildly polygynous, with about 5% of adult men having more than one wife and around 15% having no wives at all.
[...] Es gibt in diesen Gesellschaften keine Ausgeschlossenen, Gemobbten, Einzelgänger. [...]
Also bei Hunden gibt es diese Phänome. In irgendwelchen Menschenaffen-Dokus gibt es auch zuweilen Einzelgänger, Mobbing etc. in der Horde. Die sozialen Bande waren früher aber sicher enger und auch die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen größer.
Ninja Turtle

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Ninja Turtle »

Ich glaube, da vermischen sich Phantasie und Realität. (Diplomatisch ausgedrückt)
Kief

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Kief »

HenryD.Thoreau hat geschrieben: 30 Mai 2019 13:27 Ich habe mir vielfältige Berichte über den Umgang mit der Partnersuche und Sexualität von indigenen Völkern angeschaut. Hier gibt es viele fundamentale Unterschiede. Vielleicht kann hier jeder etwas für sein Leben mitnehmen.
[ ... ]
Ich habe noch weitere Geschichten und Berichte dieser Völker, gerade in Polynesionen geht man nochmals ganz anders mit Sexualität um. Aber ich belasse es jetzt erstmal dabei und hoffe ein wenig zum Nachdenken angeregt zu haben!
Klingt fuer mich plausibel und nachvollziehbar.
Aber die Tiefe und Authentizitaet wuerde ich gerne noch erfahren.

Hast Du das "lediglich" zusammengetragen, so dass da auch dokumentatorische Ungenauigkeiten dazukommen,
oder hast Du selbst persoenlichen Kontakt oder wenigstens zu einer der Quellen und deren Arbeitsweise?
Kannst Du Ausreisser, blinde Flecken und sonstige Besonderheiten der Beobachtungen eingrenzen?


K
HenryD.Thoreau

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von HenryD.Thoreau »

Quellen:
The Muria and Their Ghotul, Verrier Elwin | 1992

Die Nenzen habe ich durch einen eigenen Besuch kennengelernt. Hier hat mir mein russischer Freund sehr viel über die Kultur und Lebensart dieses Volkes erzählt.
Es ist doch auch einfach logisch, das bei den Nenzen der Umgang mit Sexualität so gestaltet werden muss. Die örtlichen Begebenheiten und die Natur geben das vor.

Natürlich ist es nicht ausschließen, dass es auch "Ausreiser" gibt, die keine Frau oder auch keinen Mann haben und auch nie gehabt haben. In der Regel leben diese Menschen dann aber auch nicht mehr das traditionellen Leben sondern in die Stadt gezogen. Für das speziellen Leben dieser Völker kann man nur das ganze Familie überleben. Wenn man hiervon ausgestoßen wird, so konnte man nicht überleben und starb. Es gab sicherlich mal die eine oder den anderen Jungfer/Jungmann, dieser lebte aber nicht alleine sondern war in der Gesellschaft integriert. Die Familie hat aber immer dafür gesorgt, das auch dieser irgendwann verheiratet wurde, zum Teil auch zum Zwang.
Daher gab es auch keine dieser Phänome, man hat alleine nicht überleben können. Im Tierreich überlebt auch kaum ein Schimpase ganz alleine, er braucht die Gruppe und die Hilfe.

Pädophilie ist ein Phänomen das bei so offenen Völkern wie den Muria sicherlich nicht gab. Pädophilie hat viele Ursachen, eine davon ist sicherlich bereits der falsche Umgang mit Sexualität und das Unterdrücken von Triebe. In dieser Gesellschaft hatte aber bereits jeder Jugendliche Erfahrungen sammeln dürfen. In diesen "Kinderhäusern" haben Erwachsene absolut keinen Zutritt, somit auch keine Möglichkeit auf diese Gedanken zu kommen. Abgesehen davon haben diese Menschen umfangreiche Tabus durch ihre Glaubensvorstellungen, die sowas auch verhindern.
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Lazarus Long
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Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Lazarus Long »

Vielleicht stimmt das, vielleicht hat jemand die rosarote Brille auf gehabt.

Zunächst einmal erinnert es mich an die Forschungsergebnisse von Margaret Mead ...

und wie sie später auseinander genommen wurden.

Da klingt vieles zu schön, um wahr zu sein.
Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.

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Deutscher Staatsmann und Mitbegründer der Humboldt-Universität zu Berlin
1767 - 1835
Kief

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Kief »

HenryD.Thoreau hat geschrieben: 30 Mai 2019 15:24 Abgesehen davon haben diese Menschen umfangreiche Tabus durch ihre Glaubensvorstellungen, die sowas auch verhindern.
Beispielsweise?


K
Melli

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Melli »

Man kann "Naturvölker" sicherlich nicht in einen Topf werfen. Mancherorts tragen sich auch Dinge zu, über die ich hier an dieser Stelle lieber diskret schweigen möchte. (Wer vom Fach ist, dem wird von selbst einiges nach nur kurzer Überlegung einfallen.)

Wie die Verhältnisse bei den Tsimané sind, weiß ich leider nicht.

Die Muria sind wegen des Ghotul zum Aushängeschild geworden. Natürlich muß das als eine Ausnahmeerscheinung gelten. Man mag auch geteilter Meinung sein, ob dieses Vorgehen in der Kindererziehung wirklich wünschenswert ist.

Meine eigene Erfahrung mit der Order "Nun seht mal schön, wie ihr miteinander klarkommt!" ist nichts weniger als katastrophenträchtig. Das dürfte bei mir ein Baustein für AB gewesen sein, aber bestimmt kein mögliches Mittel dagegen :schwarzekatze: Man sieht schon, es war für mich wie für die Gondi besser, dort niemals Feldforschungen auch nur in vageste Erwägung gezogen zu haben.

Ein enges Zusammenleben wie im Čum bei den Nenec muß nicht unbedingt eine Art erzwungene Offenheit mir sich bringen, sondern kann mancherorts mit einer äußersten Sensibilität und Diskretion hinsichtlich der eigenen Privatsphäre wie der anderer einhergehen.

Ehen wurden zumindest bei manchen Dene-Paaren nicht sofort "vollzogen", sondern die lernten sich erst einmal noch ein bißchen näher kennen, wobei sich gerade die Männer oft in rührender Weise um die Frauen kümmerten (und das nach den Aussagen letzterer).
Kief

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Kief »

Melli hat geschrieben: 30 Mai 2019 15:57 Man kann "Naturvölker" sicherlich nicht in einen Topf werfen. Mancherorts tragen sich auch Dinge zu, über die ich hier an dieser Stelle lieber diskret schweigen möchte. (Wer vom Fach ist, dem wird von selbst einiges nach nur kurzer Überlegung einfallen.)
Nun, ich bin nicht vom Fach, und wenn zweifelhafte Wege zu zweifelhaften Ergebnissen fuehren, dann klingt das auch nicht sonderlich hilfreich.

Aber was ich hier so an Hinweisen entdecke, das finde ich tatsaechlich interessant und lehrreich ... von daher bin ich an den bisherigen Links durchaus interessiert.
Gerade die friedlich resultierenden Methoden ...
ich hoffe, wenn ich in ein oder zwei Jahren mich mal damit tiefer befasse, dann finde ich die Links wieder ...


K
Moby Dick

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Moby Dick »

Naja zurück auf die Bäume wirds nicht lösen. In Afrika werden Männer "in Abwesenheit" verheiratet. Da sind aber handfeste ökonomische Gründe die Ursache dafür. Ansonsten hab ich nach dem Urlaub auf einmal ne Ehefrau...
Nonkonformist

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Nonkonformist »

Ich erinnere mich an klassenfeten wo von so manchen mitschüler kräftig rumprobiert würde.
Während wahllos rumkuscheln und rumknutschen gar nicht mein ding war (oder ist), und ich dabei sehr bewusst nicht mitgemacht habe.
Aber es ist nicht so das es in unseren kulturkreis kaum ein raum zum experimentieren gäbe.

Ob alle ABs damit geholfen sind ist eine andere sache.
Dieses planloses rumexperimentieren und emotionsfreie erfahrungen sammeln ist nichts für mich, uind ich bedauere es auch nicht da nicht mitgemacht zu haben. Eine frau für wem ich keine tiefere gefühle habe will ich auch nicht am leib.
(Und dabei hat es mitschulerinnen gegeben die mit mir wollten (engtanzen, zungenküssen), die ich ablehnen müßte.)
Melli

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Melli »

Kief hat geschrieben: 30 Mai 2019 16:43Nun, ich bin nicht vom Fach, und wenn zweifelhafte Wege zu zweifelhaften Ergebnissen fuehren, dann klingt das auch nicht sonderlich hilfreich.
Ich meinte nicht zweifelhaftes Verhalten von Forschern. Obschon es das leider auch zu verzeichnen gäbe. Nach Möglichkeit liest man bei entsprechendem Interesse so gut wie alles an ernstzunehmender Literatur was zu einem bestimmten Thema zu haben ist. Ein paar Zeilen zum bisherigen Forschungsstand – einschl. zu klärender Fragen – gehören immer noch in eine anständige Einleitung (und auch schon einen Projektantrag).

Was ich meinte war grausames bis ausgesprochen quälerisches Verhalten seitens Erwachsener gegenüber Kindern/Jugendlichen. Wenn ich das hier im Treff ohne weitere Erklärungen schreibe, dann sieht das so aus, also wollte ich die Leute in die Pfanne hauen :( Dabei können die in anderen Bereichen von Kultur und Sprache sogar höchst bewundernswert und respektabel sein. Menschen sind nicht eindimensional. Andererseits kann ich auch da Kollegen nicht verstehen, wenn die abwiegelnd schreiben, es sei wohl alles nicht so schlimm. Die Empathie so schnell aufzugeben, ist menschlich bedenklich, und wahrscheinlich behindert es sogar die Arbeit (nicht nur in der Ethnopsychoanalyse).

Bei den Muria etwa schockiert mich der Bericht darüber, daß der Versuch, beständigere Beziehungen einzugehen, bestraft wird. Und ich wundere mich, daß nicht berichtet wird, daß daran mal ein Forscher Anstoß genommen hätte. Das sollte man zumindest gründlicher recherchieren. Sehr komplex und heikel könnte es werden, wenn man mal sehen wollte, wie es bei denen gegebenenfalls um nicht-binäre Geschlechter bestellt ist, die typischerweise in Indien religiöse Bedeutung haben. Vielleicht sollte man da doch mal hinfahren, sich in erster Linie anständig benehmen, und dann mal sehen, was die einem von sich aus erzählen :oops:
Moby Dick hat geschrieben: 30 Mai 2019 17:26Naja zurück auf die Bäume wirds nicht lösen.
Das ist aber schon arg lange vorbei :mrgreen:

Es ist eher so, je mehr man sich mit einer ganzen Menge verschiedener Kulturen beschäftigt, desto schwerer fällt es einem, die in einem verallgemeinerten Raster möglicher Entwicklungen unterzubringen.

Das ist ja nicht nur der Historische Materialismus. Der hat mich persönlich nur besonders geärgert bei der Lektüre sowjetischer Ethnologen und Urgeschichtler. Man hätte sich aber viel entgehen lassen, hätte man die nicht gelesen. Gab ja auch arrogante Kollegen, die einem ständig nervten mit dem Spruch: "Russica non leguntur." :(

Bei der Betrachtung von Umgangsformen habe ich mich oft gefragt, wer da nun eigentlich "höher" entwickelt ist :shock:
Kief

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Kief »

Melli hat geschrieben: 30 Mai 2019 21:59
Kief hat geschrieben: 30 Mai 2019 16:43Nun, ich bin nicht vom Fach, und wenn zweifelhafte Wege zu zweifelhaften Ergebnissen fuehren, dann klingt das auch nicht sonderlich hilfreich.
Ich meinte nicht zweifelhaftes Verhalten von Forschern.
Ich dachte auch eher an Genitalverstuemmelungen (zweifelhafte Wege) mit weniger Empfindungen (zweifelhafte Ergebnisse) beim Sex, also kulturelle Eigenheiten, die ich mir gar nicht erst anschaue, ob die als Vorbilder dienen koennen.

Bei anderen Sitten wuerde ich mir durchaus die Gedanken dahinter (und Ergebnisse) anschauen, ob da vielleicht irgendwas Sinnvolles dran ist.

Bei den Muria etwa schockiert mich der Bericht darüber, daß der Versuch, beständigere Beziehungen einzugehen, bestraft wird. Und ich wundere mich, daß nicht berichtet wird, daß daran mal ein Forscher Anstoß genommen hätte.
???
Solch eine Sitte erstaunt auch mich ...

Ist dafuer ein Sinn bekannt?

Gab ja auch arrogante Kollegen, die einem ständig nervten mit dem Spruch: "Russica non leguntur." :(
Klingt nach Latein, aber dict.cc kennt "leguntur" nicht.


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steven1983
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Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von steven1983 »

Mir fallen da im Moment nur die Arbeiten des Analytikers Reich ein, der in den 1930ern ethnologische Forschungen für seine Sexualtheorien heranzog.

http://www.wilhelmreich.at/198-susanne- ... der-heute/

Die Frage der Sexualität in anderen Kulturen ist untrennbar mit der Frage verbunden, inwieweit die kindliche Sexualität unterdrückt wird. Fragen der Säuglingspflege, der Kindererziehung und Familienstruktur spielen auch eine Rolle. Das Kapitel 6 dieser Abschlussarbeit liefert einen Einblick in die Theorien Reichs

http://summerhill.paed.com/summ/keli/inhalt.htm
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steven1983
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Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von steven1983 »

HenryD.Thoreau hat geschrieben: 30 Mai 2019 13:27
Ich habe mir vielfältige Berichte über den Umgang mit der Partnersuche und Sexualität von indigenen Völkern angeschaut. Hier gibt es viele fundamentale Unterschiede. Vielleicht kann hier jeder etwas für sein Leben mitnehmen. Mir geht es gar nicht um die Frage, warum und wieso es heute anders ist. Es soll einfach anregend und interessant sein, aber auch sehr lange:

Die sozialen Einrichtungen dieser Kulturen erleichterten und schützten die sexuellen Gefühle und Wünsche Jugendlicher. Die Kinder solcher Gesellschaften begannen spontan im Alter von fünf oder sechs Jahren ihre Interessen weg von der kindlichen Mutterbindung auf Kontakte mit anderen Kindern auszuweiten. Ab diesem Alter schlossen sie sich Gruppen Gleichaltriger und verbrachten einen großen Teil der Tage und Nächte in gemischten Gruppen von Kindern und Jugendlichen beiderlei Geschlechts. Das Besondere an diesen Kindergruppen war das Fehlen jeglicher Kontrolle oder Beaufsichtigung und die auf Übereinstimmung beruhende, sich selbst regulierende Art, in der die Kinder ihre täglichen Aktivitäten einteilten und bestimmten. Bei den Kindern dieser Kulturen wurden auch sehr starke sexuelle Interessen beobachtet, und schon in sehr frühem Alter spielten sie sexuelle Spiele. Im Umgang mit anderen Kindern eigneten sie sich spielerisch das Wissen über sexuelle Dinge, einschließlich des Geschlechtsverkehrs an. Während der späteren Kindheit und Jugend schliefen sie in speziellen, für junge Leute bestimmten Unterkünften. Sie schliefen ziemlich regelmäßig miteinander, meist jede Nacht, wobei die Jüngeren zunächst möglichst viele Erfahrungen mit wechselnden PartnerInnen sammelten.
Ich weiß, welche Kultur du meinst ;)
Melli

Re: Sexualität im ethnologischen Kontext

Beitrag von Melli »

Kief hat geschrieben: 30 Mai 2019 22:11Ich dachte auch eher an Genitalverstuemmelungen (zweifelhafte Wege) mit weniger Empfindungen (zweifelhafte Ergebnisse) beim Sex, also kulturelle Eigenheiten, die ich mir gar nicht erst anschaue, ob die als Vorbilder dienen koennen.
Bestimmt nicht. Und in der Art gibt es einiges, was weniger bekannt ist, und das ist sicherlich besser so.
Bei den Muria etwa schockiert mich der Bericht darüber, daß der Versuch, beständigere Beziehungen einzugehen, bestraft wird. Und ich wundere mich, daß nicht berichtet wird, daß daran mal ein Forscher Anstoß genommen hätte.
???
Solch eine Sitte erstaunt auch mich ...
Ist dafuer ein Sinn bekannt?
Nicht daß ich wüßte.
Gab ja auch arrogante Kollegen, die einem ständig nervten mit dem Spruch: "Russica non leguntur." :(
Klingt nach Latein, aber dict.cc kennt "leguntur" nicht.
"Russica werden nicht gelesen." (Wiktionary scheint mir besser.)