Einsamer Igel hat geschrieben: ↑24 Mai 2019 07:56
Eine neue Stelle passend zu unter der Hand bekannten Bewerbern auszuschreiben, war verbreitete Praxis, als ich vor 20 Jahren arbeitslos war. Ich hatte nirgends eine Chance, weder in meiner Branche, noch als Quereinsteiger. Abwechselnd war ich über- und unterqualifiziert. Ich würde mich vor allem gern bei all jenen BEDANKEN, die mir damals keinen Job gaben, weil sie den für jemanden aufsparten, der weniger qualifiziert war und daher scheinbar weniger Chancen hatte, einen Job zu finden. Es wurde unterstellt, dass ich überall einen Job kriegen könnte und dass ich in dieser Firma dann nicht lange bliebe, da ich natürlich Verbesserungsbestrebungen hätte. Nein, ich wollte einfach nur einen Job. Ich hatte gar kein großes Karrieredenken. Ich bin dadurch komplett aus meinem Beruf rausgefallen und habe nirgendwo Fuß fassen können. Heute ist diese Ausbildung für den A... Dabei war das mal mein Wunschberuf, für den ich die perfekte Eignung mitbrachte. Also vielen Dank an all jene. Bin immer noch stinksauer deswegen. Ausbeutung einerseits und Kuppelei andererseits. Der Arbeitsmarkt ist eine Schlangengrube. Vitamin B hätte mir geholfen zu überleben. Meine vermurkste Kindheit wirkt auf mein ganzes Leben.
Wenn ich mich endlich so weit davon gelöst habe, dann ist es auch lange zu spät für das Thema berufliche Verwirklichung und Alterssicherung. Das Thema macht mich noch immer kreuzunglücklich.
Igelchen, auch wenn ich es beruflich vielleicht doch ein wenig besser hatte, könnte der Text glatt von mir sein. Vielleicht, weil wir ähnlich alt und in ähnlicher Region damals beheimatet waren?
Aktuell mache ich mir regelrecht einen Sport daraus, alle pro forma für mich zuständigen Beratungsstellen und Empfehlungen der Agentur für Arbeit (ich beziehe und bekomme keine Leistungen - das Jobcenter ist aus finanziellen Gründen nicht für mich zuständig) offline wie online aufzusuchen bzw. durchzuarbeiten. Das ist spannend und höchst interessant. Da trifft dann oft ost- und westsozialisierte "alte" Frau, die in kein Berufsraster passt, auf jungen südwestsozialisierten Mann. (Sorry, Melli, falls du hier mitliest und meine Assoziation unpassend findest) Ich könnte auch von einem anderen Kontinent und aus einer anderen Zeit stammen, so ungläubig hört man mir zu, sichtet meine Unterlagen und Abschlüsse, meine Berufserfahrung. Was ich tatsächlich erlebe, ist ein genaues und interessiertes Zuhören.
Und gleichzeitig spüre ich, wie ich mit meinem Leben irgendwie wie aus der Zeit gefallen wirke. Manchmal meine ich in den Augen und in der Mimik der jungen Berater dann auch so etwas zu sehen wie: Ach, SO könnte man sein Leben und das Verhältnis zu Beruf etc. auch sehen ..., das muss ich zu Hause mal für mich privat durchdenken ... Das sind wirklich menschlich berührende Begegnungen. - Verrückt ist auch, dass mir online jede Menge Berufsfelder empfohlen werden, die aus zunehmend formalisierten Gründen grundsätzlich nicht für mich in Frage kommen, obwohl ich dort arbeiten könnte ... Da hinkt das Online-System dem veränderten Arbeitsmarkt-Verhalten deutlich hinterher ... Ich bin auch schon auf sehr erfahrene ähnlich alte Beraterinnen gestoßen, die das Dilemma von unter-, über- bzw. fehl qualifiziert gut verstehen ... Manchmal kommt mir dann sogar das Wort "Parallelgesellschaften" in den Sinn ..
Igelchen, es hilft dir und mir vielleicht nicht weiter - aber Soziolog*innen oder auch Historiker*innen sehen vermutlich schnell, dass unsere beruflichen Lebenswegerfahrungen weniger individuell sind, als wir sie sehen bzw. sie uns landläufig eingeredet werden.
Übrigens war ich auch noch mal bei einer Studienberatung einer Uni. Nach mehreren Tests und Beratungsgesprächen kam raus, dass mein Grundstudium und meine Zusatzausbildungen genau in den Feldern liegen, die meinen besonderen Stärken und Fähigkeiten entsprechen. Das Dilemma sei, dass die gesellschaftliche Entwicklung und der berufliche Markt sich so stark verändert haben, dass meine Felder gerade alles andere als hofiert werden. Und es kommt erschwerend hinzu, dass ich in den beiden geburtenstärksten Jahren in Deutschland geboren wurde.
Wenn es nicht auch ganz praktische Auswirkungen auf die finanziellen Grundlagen unserer Familie hätte ..., könnte ich das als spannende intellektuelle Erkenntnis-Reise verbuchen.