Mir fehlt die Schulzeit

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Le Chiffre Zéro
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Re: Mir fehlt die Schulzeit

Beitrag von Le Chiffre Zéro »

Schule war für mich eine Medaille mit zwei Seiten. Dennoch wollte ich sie nicht missen.

Einerseits war mein Selbstwertgefühl aus diversen Gründen (z. B. extremes Mobbing in der Unterstufe, das den Lehrern komplett verborgen blieb, die auf einem Gymnasium in der tiefsten Provinz in den späten 80ern todsicher noch nicht einmal wußten, was Mobbing ist; Vergleich meiner selbst mit meinen Mitschülern, wodurch mir immer mehr Nachteile und Defizite an mir gegenüber meinen Mitschülern auffielen, bis ich davon ausgehen mußte, ihnen eher unangenehm zu sein; außerdem mein Super-OdB und das daher resultierende Wechselbad der Gefühle) im Keller – nicht nur im Keller, sondern tief in einem regelrechten Dungeon.

Andererseits gab es durchaus einige wenige Mitschüler, mit denen ich gut auskam, mit denen ich das eine oder andere Interesse teilte. Ich war lange in der (etwas zwiespältigen) Schulband und kannte auch außerhalb den einen oder anderen Musiker. Vorher hatte ich mit anderen Schulkameraden auch den einen oder anderen anderen gemeinsamen Zeitvertreib. Und dann war da eben noch mein Super-OdB, das zu sehen schon Rechtfertigung genug für den Schulbesuch war.

Ich ging abends nie mit Schulkameraden weg, das lag mir nicht. Ein paar wenige Partys nahm ich dennoch mit, besonders wenn ich explizit dazu eingeladen worden war. In der Mittelstufe ging es ja allmählich los mit außerhalb der Schule organisierten Privatpartys. Ich weiß noch, daß die erste ihrer Art unter dem Namen "La Boum" lief. Wirklich "gefeiert" habe ich nie, ich war einfach mehr oder weniger da. Ebenfalls in die Mittelstufe fiel mein Tanzunterricht und damit mehrere Abtanzbälle, aber das hatte mit der Schule nichts zu tun. In der Oberstufe war ich wiederum fast nur noch auf einer einzigen Oberstufenparty, zwei Abibällen und einer Abifete.

Mit Kontakten zum anderen Geschlecht war es schwierig:
  • Aus Mangel an Selbstwertgefühl konnte ich mir nicht vorstellen, daß irgendein Mädchen vielleicht wirklich an mir hätte interessiert sein können – auch wenn eigentlich alle Hinweise dafür sprachen und die teilweise sogar sehr deutlich waren.
  • Mein Super-OdB, bei dem ich mir dann doch Hoffnungen machte. Was sie von mir hielt, war aus meiner Sicht sehr ambivalent, das hieß aber, daß sie mich aus meiner Sicht nicht kategorisch ablehnte. Folge, wie gesagt: Hoffnungen. Wiederum Folge: Oneitis. Egal, was andere Mädchen gesagt oder getan hätten: Ich habe mich für sie aufgespart.
  • Ihre Schwester, mein Vize-Super-OdB. Rückfallebenen-Oneitis, zumal diese Mitschülerin etwas extrovertierter und deutlicher war.
  • Mit mehr Selbstvertrauen und ohne Oneitis hätte ich aus heutiger Sicht wohl Chancen bei einigen Mädchen gehabt, zumal einige mir ihr Gefallen unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen versuchten. Das heißt, allein mit mehr Selbstvertrauen hätte ich womöglich sogar die eine oder andere Chance bei meinem Super-OdB gehabt. Aber ich stand mir selbst in vielerlei Hinsicht im Wege.
Wenn ich so daran denke: Auf der Abifete meines letzten Jahrgangs unternahmen tatsächlich mein Super-OdB, mein Vize-Super-OdB und die beste Freundin meines Vize-Super-OdB, die quasi seit Jahren mit einem Zaunpfahl auf mich einzudreschen versuchte, einen letzten Versuch, an mich heranzukommen – nicht direkt amourös, aber generell, zumal ich einfach nur gewissermaßen teilnahmslos dasaß und die Fete um mich herum geschehen ließ.

Studiert habe ich nicht. Ich habe nicht einmal Abitur.

In der Ausbildung war es letztlich für mich einfacher, da kam ich mit meinen Kollegen im allgemeinen gut aus. Dafür gab es (technische Ausbildung) einen extremen Mangel an Azubinen. Im nachhinein muß ich allerdings sagen, daß es möglicherweise im Umfeld die eine oder andere gab, die Interesse an mir gehabt und das auch gezeigt hat.
Dave hat geschrieben:
Ansonsten nie extra für irgendwelche Arbeiten/Klausuren gelernt.
Hat schlussendlich trotzdem jedes Jahr für nen 1,x Schnitt gereicht.
Naja, man muss vorsichtig sein... Hier lesen vielleicht auch Schüler mit. Ich hab das auch so gemacht und bei mir hat's für ne durchschnittliche Note gereicht... Und viele schaffen es mit dieser Strategie eben auch nicht.
Ich bin in vielen Dingen ziemlich begabt und Autodidakt. Dummerweise war ich nie sonderlich diszipliniert...

Tendenziell kann man mit Fleiß und Disziplin aber in fast allen Gebieten mehr erreichen als nur mit Talent (ohne Disziplin).
Dieses klassische "Lernen", Pauken, Büffeln – das war auch nie etwas für mich. Ich habe das selbst nie erlernt.

Lernen war für mich nicht, im Unterricht alles mitzuschreiben und mir dann zu Hause das Aufgeschriebene ins Hirn zu prügeln, bis ich es auswendig konnte, um es dann, wenn es gebraucht wurde, im Geiste auswendig zu rezitieren und zu versuchen, es auf den konkreten Fall anzuwenden. Für nahezu alle meine Mitschüler in fast allen Fällen ja, für mich nicht.

Lernen war für mich, den Unterrichtsstoff an Ort und Stelle zu verstehen, logisch nachzuvollziehen, direktweg zu grokken. Ich habe nicht mit dem Kurz- oder Langzeitgedächtnis gelernt, sondern mit dem Verstand. Ich funktionierte nicht wie ein BASIC-Interpreter, der immer wieder denselben Programmcode in Textform ausführt, sondern wie ein C-Compiler, der den Programmcode sofort in wesentlich effizienter ausführbaren, plattformspezifischen Binärcode umwandelt.

Und das ist heute noch so.

Beispielsweise lerne ich Sprachen nicht, indem ich Vokabeln und Ausformulierungen grammatischer Regeln auswendig lerne. Ich lerne sie, indem ich sie anwende, und indem ich höre und lese, wie diejenigen sie anwenden, die sie beherrschen, am besten Muttersprachler. Da erlebe ich die Sprache in Aktion und kann so wesentlich besser verstehen, wie sie funktioniert. Das Ergebnis ist nicht hölzernes offensichtliches Schulenglisch, das zustandekommt durch Hervorkramen von einst auswendig Gebüffeltem und Versuchen, dieses korrekt zu rezitieren, sondern die Wortgewandtheit eines Native Speaker.

Diese Art des Lernens ging zugegebenermaßen nicht immer. Zum einen das, zum anderen ging es in der Grundschule und der gymnasialen Unterstufe tatsächlich so ziemlich immer. Ins-Hirn-Zwängen kam bei mir nie vor, weil ich es nie nötig hatte. Ich sah es, ich verstand es, ich konnte es anwenden. Problematisch wurde es, als Stoffe oder ganze Fächer auftauchten, die mir einfach nicht lagen. Da konnte ich nicht mehr umsteigen auf die "Standard"-Lernmethode des Auswendiglernens trockener Daten, die alle meine Mitschüler seit der ersten Klasse anwendeten und trainierten, die ich aber überhaupt nicht kannte. Irgendwann ist es zu spät, damit noch anzufangen. Außerdem erkannte ich damals das Problem gar nicht und versuchte, weiter mit meiner üblichen Methode zu fahren.

Was mir gut lag, war die Anwendung lebendiger Sprachen – Deutsch, Englisch, Französisch (die Schule war für mehr als vier Sprachen zu klein) –, das meiste im MINT-Bereich, und meine langjährige praktische musikalische Erfahrung kam mir im Musikunterricht zugute. Trockenere Stoffe wie die tote Akademikersprache Latein, Geschichte oder Philosophie – über das ich eigentlich heilfroh war, weil ich damit endlich den Religionsunterricht abwählen konnte – lagen mir dagegen gar nicht.
← Das da sind keine Klaviertasten. Es sind Synthesizertasten. Doch, da gibt es Unterschiede.

Ich kann es euch erklären. Ich kann es aber nicht für euch verstehen. Das müßt ihr schon selbst tun.

INTJ nach Myers-Briggs
Automobilist

Re: Mir fehlt die Schulzeit

Beitrag von Automobilist »

Le Chiffre Zéro hat geschrieben:
Andererseits gab es durchaus einige wenige Mitschüler, mit denen ich gut auskam, mit denen ich das eine oder andere Interesse teilte.

Dieselben glänzten bei mir duch völlige Abwesenheit...

Ich ging abends nie mit Schulkameraden weg, das lag mir nicht. Ein paar wenige Partys nahm ich dennoch mit, besonders wenn ich explizit dazu eingeladen worden war.

Soweit es solche gab, war ich explicit n i c h t eingeladen....

[*]Mein Super-OdB, bei dem ich mir dann doch Hoffnungen machte. Was sie von mir hielt, war aus meiner Sicht sehr ambivalent, das hieß aber, daß sie mich aus meiner Sicht nicht kategorisch ablehnte. Folge, wie gesagt: Hoffnungen. Wiederum Folge: Oneitis. Egal, was andere Mädchen gesagt oder getan hätten: Ich habe mich für sie aufgespart.

Heilige Makrele, das kommt mir irgendwo bekannt vor - nur, daß Aphrodite nichts mit Schule zu tun hatte...


Beispielsweise lerne ich Sprachen nicht, indem ich Vokabeln und Ausformulierungen grammatischer Regeln auswendig lerne. Ich lerne sie, indem ich sie anwende, und indem ich höre und lese, wie diejenigen sie anwenden, die sie beherrschen, am besten Muttersprachler. Da erlebe ich die Sprache in Aktion und kann so wesentlich besser verstehen, wie sie funktioniert. Das Ergebnis ist nicht hölzernes offensichtliches Schulenglisch, das zustandekommt durch Hervorkramen von einst auswendig Gebüffeltem und Versuchen, dieses korrekt zu rezitieren, sondern die Wortgewandtheit eines Native Speaker.

Ohne das grammatische Grundgerüst dürfte das unmöglich sein - das erscheint mir, wie ein Dach zu errichten, ohne daß die Grundmauern stehen. Bei Englisch geht das noch eher; da sind nur relativ wenige Verba irregulativa zu lernen, ansonsten sind es in der Tat Ausdrucksschattierungen, die den Könner ausmachen. Dennoch bin ich froh, daß ich das ähnlich wie Latein gelernt habe - und auf die offiziellen Lehrbücher gepfiffen habe....es gab weitaus bessere - aus dem 19. Jahrhundert.



Was mir gut lag, war die Anwendung lebendiger Sprachen – Deutsch, Englisch, Französisch (die Schule war für mehr als vier Sprachen zu klein) –, das meiste im MINT-Bereich, und meine langjährige praktische musikalische Erfahrung kam mir im Musikunterricht zugute. Trockenere Stoffe wie die tote Akademikersprache Latein, Geschichte oder Philosophie – über das ich eigentlich heilfroh war, weil ich damit endlich den Religionsunterricht abwählen konnte – lagen mir dagegen gar nicht.

Griechisch würde Deiner Musikalität irgendwo entgegenkommen - siehe " musikalischer Accent (Oxytonon, Paroxytonon...usw.). Aus der Schule geplaudert : Einer meiner beiden Griechisch - Lehrer war auch Musiklehrer und Organist.