tenorita hat geschrieben: ↑26 Apr 2020 14:05
Koriander, ich bin keine Autismusexpertin, aber ich denke, dass es schwierig ist, hier im Thread vernünftige Ratschläge zu geben, weil ich glaube, man müsste viel mehr über dich wissen, um da speziell für dich Empfehlungen geben zu können ( wie starkt sind deine Symptome ausgeprägt, inwieweit hast du soziale Kontakte und wie laufen die ab, wieviel Nähe kannst du ertragen, wann setzt bei dir Reizüberflutung ein, wie gut kannst du Reaktionen von anderen einschätzen usw.). Hast du denn über das Thema schon mal mit einem Psychologen, der dich kennt, gesprochen?
Laut meiner damaligen Diagnose ist die Symptomatik schwach ausgeprägt. Was genau das bedeutet, weiß ich aber nicht. Schließlich kann die Stärke der einzelnen Symptome auch unterschiedlich sein. Ich müsste mal meine Eltern fragen, ob sie die Unterlagen mit dem Befund noch haben.
Aus meiner Erinnerung weiß ich aber noch, dass ich früher eine Reihe von Symptomen hatte: Ich habe als Kind fast nur in Fakten gesprochen und deswegen hielten mich viele für besserwisserisch und überheblich und empfanden das auch als nervig. Dazu kam noch, dass ich kein Gefühl dafür hatte, was anderen Menschen unangenehm sein könnte. Daher habe ich versehentlich oft was unangebrachtes gesagt oder gar Menschen bloßgestellt. Häufig wurden in meine Feststellungen auch Wertungen hinein interpretiert, obwohl ich das gar nicht so gemeint habe.
Das ist inzwischen wesentlich besser geworden. Ich überlege immer gut, ob ein Fakt, den ich gerade in meinem Kopf habe, mein Gegenüber überhaupt interessieren könnte oder ob das, was ich sagen will, in unserer Gesellschaft vielleicht als was negatives aufgefasst werden könnte. Ich versuche bewusst, auch mal zu beschreiben, wie ich mich fühle und frage mein Gegenüber explizit danach, wie es ihm/ihr geht. Und das ist nicht nur, um normal zu wirken. Mich interessiert ja tatsächlich, wie es meinem Gegenüber geht. Ich wusste früher nur nicht so recht, wie ich an diese Information kommen soll. Anderen Menschen gelingt das schließlich, ohne dass sie groß darüber nachdenken müssen.
Und ich versuche bewusst, auch mal Menschen mitzuteilen, was ich an ihnen mag und schätze.
Ich bemühe mich um höfliche Floskeln und darum, unseren gesellschaftlichen Konventionen und Protokollen zu folgen.
Und wenn die Gesprächsthemen ausgehen, spreche ich oft über das Wetter (auch wenn ich Smalltalk eigentlich furchtbar finde) oder was ich kürzlich in den Nachrichten gelesen habe. Das bietet oft eine gute Überleitung zu anderen Themen und hat mich schon oft vor peinlichem Schweigen gerettet.
Perfekt funktioniert das nicht, mir passieren immer wieder mal Fehler. Ein Kumpel von mir war wegen einem Fehler auch mal richtig sauer auf mich. Nur leider habe ich es gar nicht gemerkt, dass er sauer war und schon gar nicht warum. Er musste mir das erst detailliert in Worten erklären, was denn los ist, bis ich es verstanden habe.
Interessanterweise passiert es mir hin und wieder auch, dass ich eine Feststellung äußere und mein Gegenüber das als Kompliment auffasst, obwohl ich das gar nicht so meine. Aber ich sehe keinen Bedarf, daran was zu ändern. Schließlich freut sich mein Gegenüber über das Kompliment und ich verschweige, dass das gar nicht als Kompliment gemeint war.
Durch meine antrainierten Angewohnheiten führe ich ein sehr typisches Studentenleben. Ich hänge viel mit Leuten rum, die ich von der Uni kenne und mit meiner WG. Mit denen gehe ich auch öfter mal was trinken oder hin und wieder auf Partys. Ich habe auch ein paar sehr enge, vertraute Freunde, muss allerdings sagen, dass ich ihnen nicht ganz so nahe stehe, wie ich gerne würde, da es mir einfach schwerfällt, mich vollständig zu öffnen. Und ich muss sagen, dass es mir schwerfällt, nur zu zweit mit jemandem was zu unternehmen. Soziale Interaktionen werden für mich nämlich nach einer Weile richtig anstrengend. (Das liegt vermutlich daran, dass da bei mir so viel Systematik dahinter steckt und das macht auf Dauer müde.) Bei drei oder mehr Leuten kann ich mich auch mal ausklinken und eine Weile schweigen und mich ausruhen. Aber zu zweit habe ich die ganze Zeit die volle Aufmerksamkeit meines Gegenübers und muss durchgehend "Leistung bringen".
An Umarmungen von Freunden habe ich mich inzwischen gewöhnt. Aber das ist mehr so, dass ich es über mich ergehen lasse. Nur bei engen Freunden mag ich es tatsächlich. Auch an Reizüberflutungen habe ich mich inzwischen gewöhnt. Ich brauche genügend Ruhephasen dazwischen, aber ich komme damit klar.
Was Reaktionen von anderen einschätzen betrifft: Wenn es offensichtlich ist, dann gelingt mir das schon. (So als ganz extremes Beispiel: Wenn jemand weint, dann ist mir natürlich klar, dass die Person traurig oder verletzt ist.) Subtile Dinge nehme ich aber so gut wie gar nicht wahr. So als Beispiel: Vor knapp zwei Jahren war mal eine aus meinem Umfeld in mich verliebt und mein gesamtes Umfeld wusste es vor mir. Und zwar nicht, weil es rumerzählt wurde, sondern allein wegen ihrer Verhaltensweise. Gegen später kam mir dann zwar der Verdacht, aber ich hatte zu wenig Anhaltspunkte, um mir wirklich sicher zu sein. Erst als sie es mir gestanden hat, war ich überzeugt. Ich hab dann mal mit einem guten Freund darüber geredet und er meinte, dass das schon seit Monaten offensichtlich gewesen sei. (Falls das an diesem Punkt jemandem unklar sein sollte: Ich habe ihr Interesse leider nicht erwidern können.)
Und auch sonst bin ich häufig sehr überrascht davon, wenn ich z. B. erfahre, dass jemand in letzter Zeit unglücklich ist oder wenn es ein neues Paar in meinem näheren Umfeld gibt. Denn die anderen sehen da immer schon die subtilen Vorankündigungen. Ich erfahre es erst, wenn es jemand mir erzählt.
Das obige sollte nur als ein Auszug betrachtet werden. Die gesamte Problematik ist viel zu umfangreich, um das mal schnell in einen Post zu schreiben.
Mit einem Psychologen habe ich schon lange nicht mehr gesprochen, habe aber in letzter Zeit durchaus mal darüber nachgedacht. Nur leider gibt es in meiner Stadt keinen Experten für Asperger Autismus. Ich müsste also entweder für jede Sitzung in eine andere Stadt oder aber mit jemandem sprechen, der kein Experte auf diesem Gebiet ist. Und die Wartezeiten sind bekanntlich auch lang.
Hoppala hat geschrieben: ↑26 Apr 2020 20:09
Bei diesem Thema ist - anders als bei der Frage, welche Frequenzen ud Lautstärken jemand noch wahrnehmen kann - nichts schwarz-weiß und alles relativ. Auch wenn die Diagnosen am Ende in absoluten Begriffen dargestellt werden, ist es nie so eindimensional.
Wer die Möglichkeit ausschließt, verliert sie garantiert.
Und im übrigen ist es ja die Analytik und Logik selbst, die zu dem Ergebnis führen muss, dass sie es bei den in Frage stehenden Themen allein nicht richten kann.
Das mag sogar extra unangenehm sein, wenn man so auf seine Schwächen gestoßen wird. Ändert aber nix - gerade wenn man "eigentlich" auf Analyse und Logik setzt.
Mir ist natürlich klar, dass soziale Intelligenz ein besseres Mittel wäre, aber diese ist bei mir eben stark eingeschränkt. Und das ist nicht eine Frage meiner Überzeugungen oder dass ich ein eigentlich vorhandenes Mittel nicht sehen würde, sondern das wurde mir psychiatrisch diagnostiziert. Und natürlich kann sich ein Psychiater auch mal irren, aber das halte ich doch eher für unwahrscheinlich. Schließlich habe ich ja mein gesamtes Leben mit den typischen Problemen zu kämpfen gehabt, sowohl vor als auch nach der Diagnose.
Asperger Autismus gilt als unheilbar. Man kann nur eine Verhaltenstherapie machen und was man da letztendlich tut, ist über Verhaltensmuster sprechen und diese analysieren, so dass der Betroffene sich seinem Verhalten bewusst wird und gezielt einlenken kann, um mehr der sozialen Norm zu entsprechen. Das ist ja gerade widersprüchlich zum intuitiven Verhalten und eben auch ein analytischer Ansatz.
Und selbst wenn du recht hast und es einen Weg gibt, tausende von Experten auf diesem Fachgebiet weltweit sowie alle Betroffenen haben über Jahrzehnte hinweg den Weg nicht finden können. Warum sollte es mir als Laie plötzlich gelingen?