oathlizards Kurzgeschichte(n?)

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oathlizard
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oathlizards Kurzgeschichte(n?)

Beitrag #1 » von oathlizard »

Servus,

um das Ganze kurz in Kontext zu setzen, ohne dabei vollkommen berechtigte, negative Kritik abschwächen zu wollen...

Mit 15 Jahren hatte ich mich zunächst mal an einem RPG Maker-Spiel probiert
(früh genug die Reißleine gezogen, sonst säße ich heute noch dran)

Mit 16 Jahren ließ ich das bleiben und versuchte mich an einem Fantasy-Roman
(dessen Überreste GENAU DA sind, wo sie hingehören)

Mit 17 Jahren schrieb ich Gedichte
(bwahahaha :roll: )

Mit 20 Jahren wollte ich ein "Keyboarder-Tagebuch" machen
(weil ich keine Lust hatte auf etwas, dass mehr Arbeit macht, als die "Record" Taste aufm Keyboard zu drücken und Covers in Photofiltre zu "designen")

Mit 24 Jahren fing ich an, "Songs" zu schreiben
(Aber nachdem ich über Einsamkeit, Selbsthass, Ideenlosigkeit und Flatulenz-Schüchternheit auf Gemeinschaftstoiletten geschrieben hab, gingen mir leider die Themen aus)

Jetzt, 10 Jahre später, versuche ich mich mal an Kurzgeschichten. Wenn das auch nix wird, besorg ich mir auch so nen verschissenen Speckstein (denn von Romney lernen, heißt Siegen lernen! :umarmung2: )

Jetzt zur Geschichte...
[+] Prolog
Miriam nippte gedankenverloren an ihrem sojegemilchten Latte Machiatto und nickte gedankenverloren zu den Ausführungen ihrer Freundin Susanne. Susanne hatte einen neuen Freund. Sie war nie lange Single. Miriam schon – sehr lange.

Sie sagte sich selbst immer, dass sie schon lange akzeptiert habe, dass die Männer sie nicht attraktiv finden. Es gab kaum etwas an ihrem Körper, das sie schön fand. Das war schon seit ihrer Jugend so. Die Tage, an denen sie an ihre Jugend zurückdachte, waren die schlimmsten. Und heute war so ein Tag. Sie hatte kaum Energie, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, obwohl sie Susanne wirklich mochte. Plötzlich hob sich der Tonfall in Susannes Redefluss.

"Fuck!", dachte Miriam, "Das war eine Frage!". Sie wedelte ein wenig mit dem Kopf und machte eine uneindeutige Handbewegung, während sie hörbar Luft durch ihre Lippen pfiff.

"Na komm schon!", sagte Susanne, "Ich kenne da so eine Wahrsagerin, die hat mir schon oft in Liebesdingen geholfen. Sie kann dir bestimmt auch helfen, endlich mal einen tollen Typen zu finden."

Miriam rollte unwillkürlich mit den Augen. Susanne hatte sich letzten Sommer bei einem Schamanismus-Seminar in Indien ihr Becken frei getrommelt. Seitdem wollte sie Miriam schon mindestens drei mal zum Yoga mitschleppen – aber das mit der Wahrsagerin war neu.

Miriam nickte kurz, lächelte und meinte "Okay, irgendwann machen wir das!". Susanne schüttelte den Kopf und grinste. "Ich hab für heute Nachmittag einen Termin bei ihr gemacht – wir müssen los!". Miriam stöhnte und schlürfte den Restschaum aus ihrem Kaffee-humpen. Zehn Minuten später saßen sie im Flugtaxi und stiegen in die Lüfte.

Als Miriam aus dem Auto stieg, standen sie vor einem etwas verwilderten Vorgarten. Dahinter ein Mehrparteienhaus mit einem Papp-Weihnachtsmann an einem der Balkone. Es war März. Miriam seufzte.

Entschlossen und mit Miriam im Schlepptau stapfte Susanne zum Vordereingang und drückte auf eines der Klingelschilder. "Madame Zufall". Es öffnete eine kurvige Frau Mitte 40 in einem langen schwarzen Kleid und lächelte sie an. "Susanne – Ei wie", sagte sie. Die beiden umarmten sich.

"Du muschd Miriam soi " sagte sie, zu Miriam gewandt und schüttelte ihre Hand. Die Wohnung war ungefähr so, wie sich Miriam die Einrichtung einer Wahrsagerin vorstellte. Kitschig-spiritueller Zierat füllte das Wohnzimmer und der Duft von Räucherwerk war allgegenwärtig.

Susanne wandte sich an Madame Zufall und schilderte ihr Anliegen. "Miriam ist jetzt schon länger auf der Suche nach einem Mann – wir wollten fragen, ob du ihr vielleicht ein wenig dabei behilflich sein kannst."

Madame Zufall schaute Miriam eine kurze Zeit an und wandte sich dann wieder an Susanne, "Ach Mädsche, Isch mach doch zude Zeit blous Rückführunge. Äwwer mer kenne gern mol gugge, woas se im leddschde Lewe sou gedriwwe hoad."

Susanne wirkte etwas geknickt und wandte sich vorsichtig an Miriam: "Magst du 'ne Rückführung machen?"

Miram seufzte: "Jetzt sind wir ja schon mal hier."

Kurze Zeit später lag Miriam auf der Couch und konzentrierte sich auf die Klänge der Synthie-Meditationsmusik aus der Hifi-Anlage. Madame Zufall wedelte ein Pendel vor Miriams Augen und wies sie mit ruhiger Stimme nach und nach an, sich zu entspannen. Schließlich schlief Miriam ein.
[+] Die Rückführung
Als Miriam die Augen aufschlug, war sie in einem möbilierten Kellerzimmer und stand neben ihrem vorherigen "Ich". Ein schlackisger Junge mit Bombenlegerfrisur saß vor seiner Webcam und sprach mit überdrehter Stimme in sein Headset.

"Hey Leute, ich bin's wieder, euer Kevin! Heute machen wir die "TIDE-POD CHALLENGE!". Er wedelte aufgeregt mit einigen Waschmittelkapseln vor der Kamera hin und her und erzählte gefühlt zehn Minuten irgend einen Blödsinn, von dem Miriam nicht einmal die Hälfte verstand.

Dann steckte er sich die erste Waschmittelkapsel in den Mund und kaute darauf herum. "WAS ZUM...", entfuhr es Miriam, während Kevin in gespielt-übertriebener Art und Weise würgte und gestikulierte. Nach der zweiten Waschmittelkapsel war das Würgen nicht mehr gespielt. Nach der dritten Waschmittelkapsel wurde es schwarz um Miriam.

"Na toll!", dachte sie und drehte sich ein paar Mal um sich herum, in der Hoffnung, inmitten der Schwärze doch irgendetwas zu erkennen. Irgendwann gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und sie sah die Umrisse von Kevin einige Meter neben ihr stehen. Er wirkte leicht irritiert.

Mit einem lauten Quietschen öffnete sich eine Tür, mehrere Meter vor ihnen. Gleißend helles Licht stach aus der Tür hervor und ein älterer Mann in weißem Gewand trat zu Kevin heran, "Moin, Du muschd de Kevin soi.". Mit zittriger Stimme fragte Kevin: "Bin ich tot?"

"Joh, äwwer bevor du frägschd. Du kimmschd nedd inde Himmel orrer Höll. Du siescht joh, mer häwwe koan Budget mäj unn aa koan Platz mäj für Labbeduddel wie disch. Mer schicke disch wieder nach unne! ", antwortete die Gestalt. Sie entfernte sich wieder aus der Lichter-Tür, während Miriam und Kevin einfach nur da standen und warteten.

Aus dem Raum hinter der Tür drang ein Klackern und Schleifen. Als der alte Mann wieder hervorkam, schob er einen alten Bürostuhl vor sich her und stellte ihn in die Mitte des Raumes und verschwand wieder durch die Tür.

Dann wurde das Klackern lauter und schwerfälliger und als er ein weiteres Mal aus der Tür trat, schob er einen Computer-Schreibtisch auf Rollen vor sich her. Der Rechner darauf wirkte alt und abgenutzt. Der Mann schaltete den Computer an und tippte etwas auf der Tastatur ein. Er drehte sich zu Kevin und wies ihn mit einer Handbewegung an, sich auf den Stuhl zu setzen.

"Sou, mein Liewer!", begann der alte Mann, "Du koannschd jetz aussuche, wer du im neegschde Läwwe soi willschd. Äwwer mer misse souen bissel druff achte, dass 's einigermaße ausgeglische is. Leider scheine die Schinese aus irgendeim Grund, ihre Meedsche abzumurkse."

Kevin starrte auf den alten Mann und dann auf den Monitor. Darauf war eine Art Charakter-Editor mit einem weiblichen Körper darauf und zahllosen Schiebereglern und Zahlen daneben. Dann starrte er wieder auf den alten Mann. Dieser lächelte einmal väterlich und klopfte ein paar Mal sanft auf den Scheitel des Jungen. "Du würschd e Fraa", sagte er und ging wieder zur Tür.

Noch bevor er durch die Tür trat, rief er dem Jungen zu: "Kloaner Tipp - Mach disch mol schee ansehnlisch. Doann hoaschd 's leischter im Läwwe...unn würschd nedd zu sou oaner Krawallschachdel wie moi Oalde."

Miriam trat ebenfalls an den Monitor heran und war fassungslos. Sie erinnerte sich an die unzähligen Stunden in Skyrim und wusste – bei solchen Editoren kommt absolut nie etwas anständiges heraus. Sie wurde sauer.

Aber Kevin schien das Ganze seltsam ernst zu nehmen. Er probierte herum und veränderte den Charakter auf dem Bildschirm immer und immer wieder. Es frustrierte Miriam und sie zwang sich wegzusehen. "Wie kann Gott auf so ein vollkommen bescheuertes System kommen?!", fragte sie sich und hockte sich möglichst weit weg von Kevin in die Dunkelheit.

Äonen schienen zu vergehen. Immer wieder kam der alte Mann wieder hervor und stellte eine Tüte Chips und Cola auf den Tisch – schaute kurz auf den Monitor – nickte anerkennend und verschwand wieder. Kevin schien immer konzentrierter und zielgerichteter an dem Editor herumzuschrauben.

Irgendwann wurde es Miriam zu bunt, stand auf und trat an den Monitor heran. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt als sie sah, dass die Frau auf dem Bildschirm ihr bereits seltsam ähnlich sah. Sie bemerkte wie Kevin lächelte und seine Augen leuchteten, während die Frau auf dem Bildschirm, durch jede kleine Veränderung, die er vornahm, immer mehr zu einem genauen Abbild von ihr wurde.

Sie beobachtete ihn und seine Arbeit und errötete, als er auch noch die kleinsten Details ihrem eigenen Körper anglich, ganz so, als würde er sie schon einmal gesehen haben.

Dann hörte Kevin auf, lehnte sich zurück und griff in die Chipstüte. Zufrieden mampfte er die frittierten Kartoffelscheiben und betrachtete die digitale Miriam. Er wischte sich grinsend die Krümel vom Mund, schaute einmal verstohlen zur Lichter-Tür und dann wieder aufs Bild.

Gerade als er zu Miriams Entsetzen anfing, seine Gürtelschnalle aufzumachen, polterte der alte Mann wieder herein. "Sou moin bub. Tu nix woas isch nedd aa duun deed.". Kevin machte seinen Gürtel zu mit einer Geschwindigkeit, die Miriam glauben ließ, dass er nicht zum ersten Mal in dieser Situation war.

Der Mann inspizierte den Monitor, nickte wieder anerkennend und schaute Kevin an: "Bischd souweit?". Kevin lächelte und nickte.
[+] Epilog
Auf dem Flug nach Hause war Miriam sehr still. Susanne konnte ihre Neugierde irgendwann nicht mehr zügeln und stieß sie in die Seite.

"Hey! Na los, erzähl mal. Was hast du gesehen?", fragte sie. Miriam zögerte ein bisschen und antwortete dann, während sie aus dem Fenster des Flugtaxis auf die Straßen unter sich schaute. "Ich war früher offensichtlich ein Mann."

"Echt?!", entfuhr es Susanna, "und wie war der so?"

"Ein totaler Vollidiot", antwortete Miriam und grinste, "...aber wenigstens hatte er Geschmack."

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Pinguin
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Re: oathlizards Kurzgeschichte(n?)

Beitrag #2 » von Pinguin »

:gewinner:

Vielen Dank für die Kurzgeschichte.
Hat Spaß gemacht zu lesen!
NBUC
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Re: oathlizards Kurzgeschichte(n?)

Beitrag #3 » von NBUC »

oathlizard hat geschrieben: 28.11.2021, 18:19 Mit 15 Jahren hatte ich mich zunächst mal an einem RPG (Maker?)-Spiel probiert
(früh genug die Reißleine gezogen, sonst säße ich heute noch dran)
Exakt!

NBUC, der noch immer dran sitzt ... 8-)
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lucasg
Begeisterter Schreiberling

Re: oathlizards Kurzgeschichte(n?)

Beitrag #4 » von lucasg »

Schöne Kurzgeschichte :gewinner:
Macht mir auch irgendwie Lust an meiner Uralten zu stricken :)
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Calliandra
Keiner schreibt schneller

Re: oathlizards Kurzgeschichte(n?)

Beitrag #5 » von Calliandra »

Witzige Idee und schöne Knotenerzeugung im Kopf, wenn man auf den geschriebenen Dialekt trifft. :mrgreen:
Funktioniert mit zwei Sätzen Eingrooven aber gut.
Im ersten Satz ist das "gedankenverloren" doppelt, das hattest du wahrscheinlich vergessen, nach der Umpositionierung zu löschen.
(Und ich finde, der sojagemlichte Latte hätte eher zu Susanne als zu Miriam gepasst ;)).

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