Einsamer Igel hat geschrieben:Jetzt gings (danke für den Tipp!
). Schwerpunkt schien auf Tod und Zerstörung zu liegen! (Jetzt hab ich auch keine Lust mehr über hohe Brücken zu fahren)
Mit anderen Worten:
Treffpunkt Todesbrücke (
The Cassandra Crossing) war auch mit drin. Brauchbarer Thriller, vollkommen unbrauchbarer Eisenbahnfilm.
+ + + SPOILERS AHEAD + + + SPOILERS AHEAD + + + SPOILERS AHEAD + + + SPOILERS AHEAD + + +
Zunächst mal der Laufweg des "Europa-Expreß": Genf–Basel (fährt also Zickzack)–
Paris (es ist technisch ziemlich unmöglich, einen Zug irgendwo in einem der großen Pariser Bahnhöfe zwischenhalten zu lassen, und wenn, bedeutet das einen Riesenumweg, um entweder aus der Gare de Lyon Richtung Belgien oder aus Richtung Schweiz zur Gare du Nord zu gelangen)–Brüssel–Amsterdam (was auch nicht weniger hirnbefreit ist, da zwischenzuhalten)– laut mir unbekannter Quelle Göttingen (wohin der Zug dann nur via Utrecht–Emmerich–Oberhausen–entweder zentrales Ruhrgebiet oder Köln–Siegen–Gießen–
Kassel hätte gelangen können)–Puttgarden (via
Hamburg oder Büchen mit Lokwechsel in Lüneburg?)–Kopenhagen–Stockholm. Ich meine, wenn man schon Genf–Basel–Stockholm fahren will, dann fährt man über Basel Bad Bf–Oberrheinstrecke–Mainz–Linke Rheinstrecke–Köln–Ruhrgebiet–Rollbahn und nur mit Kopfmachen in Hamburg Hbf.
Hier das Zuglaufschild.
Reihung des Zuges:
SBB Re 4/4 II 11217 (
fast ganz nach unten scrollen; damals hatte sie aber noch runde Spitzenlichter)
SBB Altbau D 92-40
SBB RIC Am 19-70
CIWL WLAB MU
SBB RIC Am 19-70
SBB RIC WRm 88-70
SBB RIC Bm 21-70
SBB RIC Bm 21-70 (kurz hinter Genf beigestellt)
SBB RIC Bm 22-70 (kurz hinter Genf beigestellt)
SBB Altbau D 92-40
Zum Zug sei anzumerken:
- Die Zeit der Packwagen an beiden Enden des Zuges war damals schon vorbei. Das gab es mal zu Dampflokzeiten, als Packwagen noch Schutzwagen waren, und auch nur dann, wenn der Zug unterwegs Kopf machte.
- Packwagen mit Faltenbalgübergängen in einem hochwertigen internationalen Schnellzug in den 70ern, dessen Wagen ansonsten Gummiwülste haben?
- Ich bin mir nicht sicher, ob die Packwagen fährschifftauglich sind.
- Noch weniger bin ich mir sicher, ob der RIC-Speisewagen eine Zulassung für Dänemark oder gar Schweden hat.
- Zugrestaurants bei Nachtzügen in der Mitte kamen erst mit dem Konzept der Hotelzüge auf. Sonst gab es sie entweder gar nicht, oder sie liefen auf einem Teil des Laufweges mit – an der Spitze oder am Schluß.
- Vor allem haben sich die Restaurants auf den Fährschiffen der Vogelfluglinie (die samt und sonders den Staatsbahnen gehörten) gegen den Einsatz von Speisewagen auf der Vogelfluglinie gesperrt. Spätestens in Lübeck Hbf hätte man den WRm aufwendig aus dem Zug herausrangieren müssen.
- Zuviel erste Klasse im Verhältnis zur zweiten, besonders für einen Nachtschnellzug, der überhaupt nur seltenst erste Klasse führt.
- Der Schlafwagen trennt einen der 1.-Klasse-Wagen vom Zugrestaurant ab.
- Ein Nachtschnellzug Mitte der 70er Jahre ohne Liegewagen?
- Ich glaube weniger, daß die SBB ihre wenigen RIC-Wagen in mehrtägige Umläufe kreuz und quer durch Europa nach Stockholm geschickt hätte. Bei dem Laufweg wäre der Zug so lange unterwegs gewesen, daß man bestimmt vier Garnituren gebraucht hätte, um täglich fahren zu können, was acht RIC Am und vier RIC WRm gebunden hätte.
- Der Zug soll angeblich 1000 Passagiere transportieren. Tatsächlich gibt es nur 108 Plätze 1. Klasse, 204 Plätze 2. Klasse und 33 Schlafwagenplätze, zusammen 335, zuzüglich 52 Plätzen im Speisewagen.
- Lange konnte der Zug so noch nicht fahren. Er kann nur elektrisch beheizt werden, was auf der Vogelfluglinie auf deutscher Seite die 218 und auf dänischer Seite die MZ III erforderte.
Alleine auf dem Schweizer Laufweg macht der Zug x-mal Kopf, weil wir immer wieder mal die erste, mal die zweite Wagenklasse vorne sehen.
Während der Hubschrauber-und-Korb-Szenen verschwindet sogar die Oberleitung – es wird nicht gezeigt, wie der Zug
mit abgebügelter Re 4/4 III 11363 von einer Bm 4/4 geschoben wird.
Dann kommt die Umleitung. Der Zug fährt nach Nürnberg. Das westliche Vorfeld des Nürnberger Hbf ist überspannt mit Schweizer Quertragwerken. Der Hbf selbst ist ein italienischer Güterbahnhof ohne Bahnsteige. Die Re 4/4 II, die damals noch gar nicht in Deutschland fahren durfte, verwandelt sich zwischen den beiden Szenen in
eine italienische E646 jüngeren Datums,
die mittels eines Holzvorbaus auf schweizerisch getrimmt worden und als Re 4/4 III 11363 beschriftet worden ist. Durch die riesigen Pseudo-Stirnscheiben sieht man übrigens die tatsächliche Lokfront, und durch den Blickwinkel erkennt der Laie nicht schon in der ersten Einstellung den zweiteiligen Lokkasten,
der später sehr gut zu sehen sein wird. Gleichzeitig verwandelt sich der noch junge MU der CIWL in einen über 40 Jahre alten Z, der eigentlich schon längst nicht mehr in hochwertigen Schnellzügen verkehren dürfte und auch noch Faltenbälge hat, und statt der 1.-Klasse-Wagen gibt es auf einmal je einen Bm 21-70 und einen Bm 22-70, also gar keine 1. Klasse mehr.
In Nürnberg muß zur Weiterfahrt über die Tschechoslowakei nach Polen (überhaupt, man schickt Passagiere, die mit einer streng geheimen US-Biowaffe infiziert sind, aufs Gebiet des Warschauer Pakts, also dahin, wo der KGB allgegenwärtig ist) von Ellok auf Diesellok umgespannt werden. Letztere entpuppt sich als
zweimotorige amerikanische Rangierlok aus dem 2. Weltkrieg, eingereiht bei den FS als D143 und als Lok für Reisezüge komplett untauglich.
Die wiederum verwandelt sich unmittelbar nach der Ausfahrt in die französische BB-66033 (
genau diese Lok hier), die eigens für den Film
grün umgemalt wurde (ja, sie hat hier Schluß gesetzt), damit sich die Leute nicht fragen, warum die vorher grüne Diesellok auf einmal blau ist, und weil blaue Dieselloks nicht so schön ostblockmäßig aussehen. Übrigens kann die BB-66000 auch keine Reisezüge heizen und braucht dafür einen Heizwagen. Daß die meiste Zeit beide Packwagen an der Zugspitze laufen, geschenkt.
Der verplombte Zug fährt zeitweise unter Oberleitung. 15.000 Volt, 16⅔ Hz Einphasenwechselstrom. Trotzdem stehen (!) auf den Dächern (lichter Abstand zwischen Dach und Fahrdraht: 1800 mm) Wachen mit ABC-Schutzanzügen und vollautomatischen Waffen.
Dann die Stelle, wo man beschließt, den Zug zu trennen, damit nur die erste Hälfte über die Cassandra-Brücke (eigentlich Gustave Eiffels weltberühmtes Viaduc de Garabit) fährt und ins Verderben stürzt.
Sämtliche Kupplungen des Zuges arbeiten elektrisch oder elektronisch und werden von einer Hauptsteuerelektrik oder -elektronik unterm Wagenboden des Speisewagens ferngesteuert! (Tatsächlich fährt man in Europa immer noch und wohl auch für immer mit vorsintflutlichen Schraubenkupplungen aus dem 19. Jahrhundert.) An die versucht man heranzukommen, indem man das Gas der Gasflaschen im Speisewagen (der RIC WRm hatte meines Wissens gar keinen Gasherd, sondern einen elektrischen) entweichen läßt, entzündet und damit gezielt direkt über dem Steuergerät ein Loch in den Wagenboden sprengt (was tatsächlich statt dessen den Aluminium-Wagenkasten zerfetzt hätte).
Natürlich klappt das nicht, also muß die Kupplung von Hand gelöst werden – während sie unter Zugspannung steht, also gar nicht ausgehängt werden kann. Natürlich wird die Kupplung bzw. deren Lösevorgang auch nicht gezeigt.
Der Held, der die Kupplung löst, dürfte davon relativ wenig Ahnung haben, also sicherlich nicht daran denken, die Lufthähne zu schließen (die im gegenüberliegenden Wagen sind mehr als einen Meter entfernt) und die Bremsschläuche zu trennen, an die man in einem fahrenden Zug nur sehr schwer herankommt. Noch schlauer wäre gewesen, die Lufthähne im zu rettenden Zugteil offen zu lassen, um in diesem Zugteil eine Zwangsbremsung zu verursachen. Oder den Zug nicht mittendrin zu trennen, sondern hinter der Lok, und damit alle Wagen und alle Passagiere zu retten. Oder, wenn es schon keine Notbremse gibt, die Hauptluftleitung einfach so zu trennen und damit den ganzen Zug zu stoppen. Beziehungsweise einfach hinten am letzten Wagen einen Hahn an der HLL zu öffnen und diese zu entlüften, dann steht der Zug nämlich auch. Woran er aber denkt, ist, am sich trennenden Übergang die Übergangstüren zu schließen und die Übergangsbleche hochzuklappen, denn als die Zughälften auseinanderrollen, sind die Türen vorschriftsmäßig zu.
Nach der erfolgreichen Trennung bleiben also sämtliche Bremsen des Zuges gelöst – bis auf die Handbremse eines Wagens im hinteren Teil, die der Schaffner Max anzieht.
Irrerweise fährt die vordere Hälfte unbeirrt weiter. Was geht eigentlich im Kopf des Tf vor? Er fährt auf eine seit 1948 stillgelegte Strecke hinaus, die mitnichten für diese Fahrt hergerichtet ist, also nicht einmal unbedingt befahrbar sein muß (und ja bekanntlich auch gar nicht ist). Auf eine Brücke zu, von der bekannt ist, daß sie einsturzgefährdet ist – soviel Streckenkenntnis sollte er haben. Mit einem Zug am Haken aus schweizerischen Wagen, dessen Herkunft er kennt oder nicht, aber trotzdem zieht er einen besetzten Reisezug aus dem Westen auf eine einsturzgefährdete Brücke zu. Wenn die Brücke einkracht, und das wird sie, ist er selbst auch tot. Trotzdem fährt er weiter.
Darüber, daß es der NATO möglich ist, einen Reisezug zwecks Verschleierung einer Geheimwaffe spontan umzuleiten auf das Gebiet des Warschauer Pakts, und daß der Sowjet-Vasallenstaat ČSSR ihn tatsächlich wunschgemäß Richtung "Janov" weiterleitet, statt Armee und Geheimdienste zu alarmieren oder zumindest die Übernahme des Zuges gänzlich zu verweigern, reden wir mal nicht. Eine Grenzkontrolle am Eisernen Vorhang scheint es auch nicht zu geben, aber was soll's.
Der Einsturz selbst wurde in H0 nachgestellt. Woran man das erkennt? Man achte auf
die Spurkränze der Lok. Das war vor brünierten Laufkränzen und vor dem Siegeszug von RP25 Code 70 in Europa, als alles noch mindestens Code 100 (2,5 mm hohe Schienenprofile) war. Außerdem können die Drehgestelle einer realen BB-66000 unter diesen Bedingungen nicht so stark kippen. Zumindest hat man Modellschraubenkupplungen verwendet. Außerdem tragen die Fahrzeuge nach der Landung in der Schlucht aus dieser Höhe kaum Schaden davon; eigentlich müßten zumindest die Wagen von ihrem eigenen Gewicht völlig zertrümmert werden. Zumindest
explodieren sie schön in einem Feuerball, als sie auf den Brückenbogen aufschlagen, obwohl selbst im Speisewagen keine Explosivstoffe sein sollten. Ach ja, auf wundersame Art und Weise läuft zwischen Lok und Speisewagen auf einmal
um einiges mehr an Wagen –
kurz vorm Crash stimmt die Zahl noch.
Die Plakate, Covers etc. werden streckenweise noch absurder. Meistens sieht man
die "Nürnberg"-Szene mit der Möchtegern-Re 4/4 III. Noch besser ist diese, die mit dem Film absolut nichts zu tun hat:
Amerikanische EMD-Diesellok!
Last but not least:
ein Teil der Besetzung in einem Schweizer Einheitswagen I (oder Leichtstahlwagen?) WR, in dem die kurzen 2.-Klasse-Szenen gedreht worden waren (vom Küchenende her).
← Das da sind keine Klaviertasten. Es sind Synthesizertasten. Doch, da gibt es Unterschiede.
Ich kann es euch erklären. Ich kann es aber nicht für euch verstehen. Das müßt ihr schon selbst tun.
INTJ nach Myers-Briggs