Ein hoher Intellekt kann es schwieriger machen, einen Menschen zu finden, mit dem man auf einer Wellenlänge ist, wo man den Eindruck gewinnt, eine wirklich tiefe geistige Verbindung aufbauen zu können. Wo man das Gefühl der Augenhöhe hat. Wo man über Themen reden kann, die einen wichtig sind. Wo man nicht das Gefühl hat, eigentlich nicht man selbst sein zu dürfen. Der Pool ist kleiner, schwieriger zugänglich. Wie viele Männer laufen wohl im Alltag herum, die einer Marie Curie geistig gewachsen wären?
Ich stelle mir z.B. einen hochintelligenten männlichen 16jährigen Teenager mit der Reife eines Ende 20jährigen (und dementsprechenden Wünschen an eine Beziehung) vor, der am platten Land aufwächst - wo soll der seine ersten Beziehungserfahrungen machen? Beim Saufen, Rauchen oder Kennenlernen in der Disco? (Ist jetzt absichtlich klischeehaft geschrieben.)
Ich will nur sagen: Hochbegabung als Beziehungshemmschuh zu betrachten ist ein Wahrnehmungsproblem bzw auch ein Bewältigungsmechanismus. Viele hier sonnen sich nahezu in dieser selbsterhöhenden Narrative, nutzen sie als (ohne Zweifel, auch schmeichelhafte) Ausrede, um nicht ins Handeln zu kommen.
Also was ich so mitgekriegt habe, handeln viele Hochbegabte und / oder Hochsensible ja -nämlich, indem sie bereits als Kind versuchen, sich möglichst unauffällig und sozial angepasst zu geben, um eben ohne größere Verletzungen durchzukommen. Ist natürlich nicht gesund fürs Selbstbewusstsein und die Selbstakzeptanz, genausowenig wie die Tendenz, sich selbst stark zu reflektieren. Oder, um beim Chinesisch zu bleiben: Die versuchen dann halt, sich den ganzen Tag auf Kantonesisch für Anfänger und Fortgeschrittene auszutauschen, obwohl sie lieber fließend Mandarin sprechen würden.
Zum selbsterhöhenden Narrativ: Kann je nach Fall stimmen oder auch nicht. Finde es aber typisch für die Diskussion in D und Ö, dass Betroffenen dann erst recht wieder ein Vorwurf daraus gemacht wird. Wer hochbegabt ist, soll gefälligst dankbar dafür sein und seine Begabung möglichst nicht zu sehr "heraushängen" lassen (Stichwort Neid, Angeber, Streber, eingebildet...) und im stillen Kämmerlein praktizieren. Jegliche Probleme sind selbstgemacht bzw. selbstverständlich mangelnder sozialer Kompetenz oder sonstiger Unfähigkeit des Betroffenen geschuldet ("Typisch verkopft"....). Dass es zeitweise tatsächlich einfach schwierig und ermüdend sein kann, kann und darf nicht sein.
Aber die Möglichkeit haben doch alle Hochbegabten: sich bei MENSA anmelden, sich an der Uni umschauen, sich in entsprechenden Kreisen bewegen.
Die Hochbegabung hält niemanden von einer Beziehung ab. Ich selbst war lange an der Uni tätig und kenne viele professoralen Beziehungsformen. Funktioniert auch nicht schlechter als anderswo. "Dumme"/nichthochbegabte Leute haben auch nicht mehr Chancen auf eine Beziehung (eher weniger, wenn ich mich so umschaue in den diversen settings, in denen sich Menschen mit niedrigem IQ aufhalten) als Menschen mit hohem IQ.
Ich war auf der Uni, Hochbegabte sind mir dort kaum aufgefallen, auch Professoren nicht. Die waren fit in ihren Theorien, aber als hochbegabt habe ich die meisten nicht empfunden. (Manche sogar als äußerst beschränkt, über ihre Grenzen hinauszudenken.) Aber kann natürlich sein, dass ich auch nicht den Blick dafür habe.
Und die MENSA würde mich, nach allem was ich darüber gelesen habe, nicht interessieren, wäre ich hochbegabt.
Meine Beobachtung ist entgegengesetzt: Menschen, die weniger intelligent sind (ich rede hier nicht von geistiger Behinderung) haben es einfacher.