Liebe Anne,
ich habe jetzt auch alles nachgelesen und kann deine Verzweiflung gerade im letzten Beitrag gut verstehen.
Das Problem ist doch, dass es weder gut ist, nur das eine zu haben, noch nur das Andere. Eine Beziehung, sofern ihr beide nicht asexuell seid ohne die körperliche Nähe ist eine Freundschaft mit einem Menschen, der dir sehr nahe ist. Geht es nur um Sex, ist es auch wieder nicht richtig, wenn man nicht genau das sucht.
Ich finde es toll, dass du ihm so viele Freiräume gibst, die Frage ist nur, auf was genau er wartet. Du liebst ihn, du bist oder willst mit ihm zusammenziehen, du willst sogar dein Leben und deine Familie mit ihm teilen. Und er möchte das auch. Aber die Frage ist eben, was ist bei ihm vorgefallen, dass eigentlich immer DU die Person bist, die sich zurücknehmen muss, die wieder und wieder Erklärungen dafür finden will, warum der nächste Schritt nicht kommt.
Er möchte dich nicht enttäuschen... schön und gut, aber er tut es ja, indem er keine weiteren Schritte mit dir zusammen eingeht.
Vielleicht kurz etwas zu mir, ich mochte mich überhaupt nicht. Ich habe 2018 (glaube ich) eine Therapie angefangen, um an mir zu arbeiten. 2019 habe ich dann mit 30 Jahren meinen ersten Freund gehabt, mit dem ich jetzt nicht mehr zusammen bin. Ich hatte immer furchtbare Angst davor, dass man mich eklig finden könnte, dass man mich nicht lieben oder ich nicht lieben könnte. Stellte sich alles als Blödsinn heraus. FAkt ist doch, dass es Selbstwertprobleme waren und häufig spricht man mit sich selbst gedanklich so, wie man das mit niemand anderem tun würde.
Zuvor bin ich nachts mit Panik aufgewacht bei der Vorstellung, dass jemand Sex mit mir haben wollen würde. Ich hatte so eine Angst, das Falsche zu tun, mich zu outen oder auch nur jemanden neben mir schlafen zu lassen.
Als ich dann mit ihm zusammengekommen war, hatte ich Vertrauen zu ihm, ich wollte das entdecken und er hat mir sehr gefallen. Beim 3. Date bin ich zu ihm gefahren, es war ein schöner Tag draußen und später haben wir Filme geguckt. Es kam dann noch der Hinweis, dass ich auch bleiben könnte, wenn ich möchte. Und ich habe mir gesagt, ich kann IMMER auch nein sagen, bei allem... solange das Vertrauen da ist, ist es doch gut. Ich habe zugesagt, es ist nichts passiert, es war eine schöne Nacht und ich konnte auch gut, wenn auch etwas angespannt schlafen. Es hat noch viele weitere Nächte gedauert, bis ich mehr zugelassen habe, aber das habe ich aus Neugierde. Ich hatte jedes Mal Verständnis von ihm, trotz körperlicher Reaktionen seinerseits und dennoch war ich mutig und neugierig. Er hat von sich aus immer angefangen, er hat das mit den Berührungen angefangen, er hat den Kuss angefangen, er hat intimere Berührungen angefangen und das ohne dass es zum GV kommen musste. Dafür war ich dankbar, denn so hatte ich die Chance mich daran zu gewöhnen.
Ich kann nur für mich sprechen, aber mir hätte es nicht geholfen, hätte er mich mit vorsichtigen Samthandschuhen angefasst oder ganz viel darüber geredet, was er sich am folgenden Abend vorstellen könnte. Er hat einfach was gemacht und geguckt, wie ich reagieren würde. Und er hat eben auch meine Handlungen abgewartet. Das erste Mal intimer berühren kam ziemlich plötzlich, ich war darauf nicht vorbereitet. Und ich glaube einfach, dass das manchmal helfen kann. Es wäre zu keiner Zeit so, dass ich nicht hätte Stop sagen können. Vertrauen ist einfach wichtig.
Was mich so irritiert ist, dass er irgendwie gar keine Neugierde daran zu zeigen scheint, dass er es nicht einfach mal versucht. Er muss doch mittlerweile wissen, dass er dir vertrauen kann. Und ich finde es eben auch schwierig, wenn du dich ständig zurücknehmen musst, während er irgendwie gar nicht versucht weiter zu kommen. Weißt du zu meinem ersten Mal hab ich ihn irgendwie überrumpelt und gesagt "Lass es uns versuchen, ich möchte gern!" und okay dann gings nicht wirklich, das lag aber nicht an mir
dafür wars danach die Woche dann soweit und es hat geklappt. Es lohnt sich so so sehr mutig zu sein und ich wollte das lernen, ich wollte dazu lernen und gucken, wie ich das kann. Es war eine tolle Zeit des Lernens, die Probleme drum herum schieb ich mal Beiseite.
Ich finde es ist wichtig in einer Beziehung, dass sich nicht nur einer entwickeln will und ständig verzichtet und was ändert. Ich kenne ihn nicht, aber wäre ich er, aber mit meinem Erlebten (ich kann ihn nicht erklären, sondern nur mich), würdest du mich weiter bringen, mich immer wieder ins Kalte Wasser zu werfen und einfach zu machen. Entweder ich sage dann "Hilfe ich kann nicht!" und du hilfst mir wieder raus, oder ich sage "okay lass uns ein Stückchen schwimmen und gucken, wie ich mich mache."
Ich kenne es selbst von mir, dass man im Kopf hat "oh Gott, ich muss das dann alles können, ich muss dies und das machen und das kann ich doch alles nicht!! Was mach ich denn, wenn er das und das will? Ich kann das nicht! LIeber mach ich nichts!". Was man dann aber vergisst ist, dass man das alles gar nicht muss. Warum nicht nur kraulen? Ich muss nicht in die Hose fassen, ich kann auch nur ein paar cm unterhalb des Bauchnabels kraulen und gucken, was passiert. Und ehrlich gesagt habe ich dabei ziemlich viel Mut gefunden, um das Ganze Spielerisch zu versuchen. Ich glaube er hat zu sehr im Blick, was folgt, was er können muss und will, obwohl das total unlogisch ist. Ich glaube du hast deutlich gezeigt, dass du über jeden kleinen Schritt froh bist, den es weiter geht.
Achte nicht so sehr darauf, was er braucht. Er ist dafür selbst verantwortlich zu sagen, was er braucht und was er nicht möchte. Wenn du jemanden, der Angst vor großen Straßen hat, immer vorsichtshalber durch die kleinen Nebengassen führst, wird derjenige weniger mit seiner Angst konfrontiert da plötzlich drauf zu stoßen und zu lernen damit umzugehen. Es ist wirklich toll, dass du so sehr darauf achtest. Ich finde nur, dass du damit die komplette Verantwortung nur auf dich ziehst... gib ihm was davon zurück. Er kann selber sagen, wenn er was nicht möchte und er kann selber stop sagen. Wenn ich ständig nur mit Samthandschuhen angefasst würde, hätte ich irgendwann Angst, dass der andere mir das nicht zutraut. Das ist jetzt aber nur meine Einbildung dabei. Ich möchte dir nur eine andere Sicht der Dinge geben. Indem du ihm die komplette Entscheidungsgewalt dabei gibst, finde ich, gibst du ihm auch die Verantwortung für den nächsten Schritt, den kann er aber nicht wirklich gehen, weil er sich nicht traut und Angst hat. Keine Ahnung, ob es so ist, ich vermute nur
Was meingst du damit, dass er mit deinem Gefühlsleben nicht zurecht kommt? das hört sich jetzt nicht danach an, dass er mit deinen Erwartungen nicht zurecht käme. Zugleich muss ich sagen, dass dein Post sich nicht mehr so anhört, wie die Posts zuvor, wenige Verständnis (was ich verstehen kann!) und eher so, als würde er das lieber so haben wollen, wie es ist ohne weitere Veränderung. Sozusagen als ein Asexuelles Paar mit Kindern. Er versteht deine negativen Gedanken nicht, weil es für ihn so passt offenbar. Er verändert nichts daran. Du möchtest aber mehr und weißt wie eine lange Beziehung ist und du hast eine Zwischenstufe erreicht, aber nicht das Ziel. Du solltest dich nicht zurückhalten. Du solltest ihn nicht schonen, sondern deine Punkte klar sagen. Wenn es dann nicht zu ihm passt, dann kannst du es nicht ändern. Du hast auch deine Wünsche, du bist ein Mensch mit Bedürfnissen und du kannst einen Menschen zu nichts zwingen. Wenn es aber auf Dauer nicht das ist, was du suchst, dann musst du irgendwie überlegen, ob es nicht besser ist dann wirklich weiter zu suchen und jeder hat erneut die Chance auf etwas, was für ihn passt. Er hatte ein Jahr mit dir, in dem er sich entwickeln konnte und ich finde du bist unheimlich lieb und vertrauenswürdig. Und ich finde was du erwarten kannst, ist dass er genauso an sich arbeitet, wie du. Wenn er aber nicht weiter kann und dir das nicht reicht und du weiter möchtest, dann hilft das leider niemandem.
Ohne wirklich zu wissen, was ihr schon probiert habt, würde ich dir raten es einfach zu versuchen. Und ihm deutlich zu machen, dass es an ihm liegt Stop zu sagen, dass du nicht dazu da bist, für ihn zu entscheiden, wann es ihm zu viel wird und wann nicht, denn dann kann er sich zurücklehnen und gucken, weil du ja dann eh passend aufhörst, das heißt du gehst nur bis an eine sichere Grenze heran für ihn und danach hörst du ja eh auf, das heißt er muss ja gar nichts tun, er kann in SIcherheit bleiben.
Es ist toll, dass es menschlich so gut passt und das ist auch sehr wichtig. Aber dass du davon gar nicht mehr geschrieben hast, sondern viel mehr von den großen Unterschieden und Problemen, zeigt mir irgendwie, dass auch da ein Punkt erreicht ist, an dem tolle menschliche Eigenschaften nicht mehr alles lösen.
Gib euch beiden da die Chance und wenn er die nicht nutzt, dann hast du es zumindest versucht und kannst ganz klar sehen, ob er bereit ist seine Grenzen zu erweitern oder nicht.
Viel Glück euch und ich hoffe weiter von dir zu lesen