Warum es früher keine ABs gab…

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ERSTER BEITRAG DES THEMAS
AtTheRearWindow

Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

Ich lese gerade ein sehr interessantes Buch:

James Neill, The Origins and Role of Same-Sex Relations in Human Societies, Jefferson, NC/London 2009.

Das eigentliche Thema des Buches ist die Frage, warum homosexuelle Aktivitäten für menschliche Gesellschaften so wichtig sind, und wie es zu deren seltsamen Unterdrückung im Westen und der von ihm beeinflussten Welt kam. Im Zuge des Buches werden aber auch einige ganz grundsätzliche Sachen gesagt, die besonders für AB – egal, welcher sexuellen Orientierung – interessant sind.

Aus evolutionärer Sicht und für die Gesundheit der Gesellschaft ist es wichtig, dass nur erwachsene, gut im Leben stehende Menschen Kinder bekommen, die sich dann auch gut darum kümmern können. Wenn zu junge Menschen Kinder bekommen, geht das schief, weil sie emotional und psychisch damit nicht klar kommen und ihre Kinder gar nicht richtig ernähren und erziehen können, und das würde allen schaden. Das kommt sicherlich jedem bekannt vor, der mal RTL II gesehen hat… :lol:

Weil gute Verhütungsmittel eine relativ neue Erfindung sind, musste man vor deren breiten Durchsetzung also aufpassen, dass junge Menschen keinen Sex haben, bei dem Kinder entstehen können. Der Westen hat sich irgendwann dafür entschieden, Enthaltsamkeit zu predigend und die jungen Erwachsenen voneinander fern zu halten, damit es nicht dazu kommt. Das Ergebnis war dann die christliche Sexualmoral, in der man ja nicht zu früh mit Sex anfangen darf, und dann am Besten nur, wenn man sicher verheiratet ist.

Neill beschreibt, wie in praktisch allen "Naturvölkern", "traditionellen" Gesellschaften, frühen Zivilisationen, und im Prinzip allen Gesellschaften außerhalb des Einflussbereichs des westlichen Christentums auf der ganzen Welt eine andere Lösung gefunden wurde: gleichgeschlechtliche Partnerschaften. In den meisten dieser Gesellschaften haben alle Menschen ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit dem eigenen Geschlecht, und das bleibt die gesamte Pubertät über so. Erst, wenn die Menschen wirklich erwachsen sind, haben sie ihre ersten heterosexuellen Erfahrungen, und damit es auch da nicht übertrieben wird, bleiben gleichgeschlechtliche Beziehungen auch bis zum Tod die wichtigste, überwiegende Konstellation. Dabei ist es so, dass die ersten Beziehungen während der Pubertät ganz stark gefördert und institutionalisiert werden: wirklich jeder bekommt einen Partner ab, und ist auch für den Rest seines Lebens versorgt, und die Erfahrungen, die man in dieser enorm wichtigen Zeit sammelt, finden im sicheren Rahmen der eigenen Gruppe statt. Wenn man dann zum ersten Mal mit dem anderen Geschlecht zusammen trifft, ist man schon wirklich erfahren und psychologisch voll entwickelt, und selbst, wenn man keinen Partner des anderen Geschlechts abbekommt (Männer- oder Frauenüberschuss), hat man immer noch die Partner des eigenen Geschlechts, damit niemand allein sein muss.

Was ich jetzt aus AB-Sicht bedenkenswert finde: Das im Westen althergebrachte Modell setzt auf lebenslang monogame und ausschließlich heterosexuelle Beziehungen, die erst nach Ende der Pubertät geschlossen werden. Die sexuelle Revolution und die Lockerungen der Jahrzehnte danach haben daran nur bedingt etwas geändert. Wer aber durch das starre Raster durchrutscht, hat ein Problem, und wird eben zum AB. Außerhalb unseres Kulturkreises, in den älteren Zivilisationen, wäre soetwas vollkommen unmöglich. Der grundlegende Unterschied ist, dass im christlich-westlichen System Einsamkeit (zumindest in jungem Alter) sogar gefördert wird und die Sexualität bewusst unterdrückt wird, ab einem bestimmten Alter aber genau das plötzlich zum Problem wird. In den anderen Gesellschaften weiß man, dass das genau der falsche Weg ist, und obwohl man dasselbe Problem (zu frühe Schwangerschaften) hatte, hat man vor allen Sorge getragen, dass niemand allein ist. Das war immer das Wichtigste: das jeder immer einen Partner hat, sein ganzes Leben lang. Das finde ich beeindruckend.

ERSTER BEITRAG DES THEMAS
Sparrenburger

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von Sparrenburger »

Ja sehr interessante Gedanken. Seh ich ebenso. Aber was man bedenken muss, die Gesellschaft entwickelt sich ständig weiter. Wir sind ja immernoch in einer Aufklärungsphase. Und das wird mindestens noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis Homosexualität und überhaupt Sexualität im Allgemeinen gesellschaft zufriedenstellender akzeptiert wird. Vieles hat sich schon verbessert, aber viele Baustellen gibt es noch. Doch denke ich wird sich das in Zukunft bessern. Trotzdem wird es ABs geben, auch in anderen Kulturkreisen wie in deinem Buch angesprochen gabs ABs. Vielleicht weniger, aber es gab sie. Es gibt ja überall eher schüchterne, einsame, zurückhaltende oder Eremitenähnliche Leute die einfach aus diesen Gründen niemand finden und das wird es immer geben.
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

Sparrenburger hat geschrieben:Ja sehr interessante Gedanken. Seh ich ebenso. Aber was man bedenken muss, die Gesellschaft entwickelt sich ständig weiter. Wir sind ja immernoch in einer Aufklärungsphase. Und das wird mindestens noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis Homosexualität und überhaupt Sexualität im Allgemeinen gesellschaft zufriedenstellender akzeptiert wird. Vieles hat sich schon verbessert, aber viele Baustellen gibt es noch. Doch denke ich wird sich das in Zukunft bessern. Trotzdem wird es ABs geben, auch in anderen Kulturkreisen wie in deinem Buch angesprochen gabs ABs. Vielleicht weniger, aber es gab sie. Es gibt ja überall eher schüchterne, einsame, zurückhaltende oder Eremitenähnliche Leute die einfach aus diesen Gründen niemand finden und das wird es immer geben.
Das ist ja der Unterschied daran: ob man schüchtern oder zurückhaltend war, spielte keine Rolle, absolut jeder hat jemanden bekommen! Entweder per Zuteilung oder dadurch, dass man sich gar nicht erst auf soetwas wie geschlossene Paarbeziehungen einlässt. Bei vielen Naturvölkern ist es zum Beispiel so, dass alle jungen Männer Sex und Partnerschaft mit allen Erwachsenen Männern haben, oder dass die Häuptlinge/Anführer/Medizinmänner sich allein um alle kümmern, und bei den Frauen meistens genauso. Da fällt niemand durch das Raster. Alles, was dann unter Altersgenossen passiert und auf reiner gegenseitiger Sympathie und Arrangierung basiert, ist immer nur zusätzlich, aber das kommt in diesen Strukturen dann auch von ganz allein, weil man dazu angehalten wird, sich miteinander zu beschäftigen. Wenn man in einem bestimmten Alter ist, dann wird einfach dafür gesorgt, dass wirklich jeder Gelegenheit hat, seine Sexualität zu erfahren und auszuleben, und fast wichtiger noch, dass auch wirklich jeder immer Menschen in seinem Umfeld hat, mit denen man auch echte emotionale Bindungen aufbauen und erfahren kann.

Bei vielen nordamerikanischen Stämmen, einigen südamerikanischen Völkern und den meisten Pazifikvölkern gibt es zum Beispiel in jedem Stamm immer ein paar Personen, die einen ganz besonderen Status haben, der darin besteht, dass sie quasi dafür zuständig sind, allen Personen emotional und sexuell zur Seite zu stehen (dafür gibt es verschiedene Namen: Berdache, Two-Spirit, assa-ari… weil es das Prinzip eben wirklich in sehr vielen, sehr verschiedenen Völkern gibt). Das ist im Prinzip das Gegenteil von Prostitution: nicht eine Person, die sich dafür bezahlen lässt, dass sie auf sich nimmt, mit jemanden Sex zu haben, ohne Gefühle – sondern eine Person, die von sich aus die Einsamen sucht und ihnen das gibt, was sie zum Glücklichsein brauchen, sowohl sexuell als auch emotional. Diese Männer werden zum Beispiel auch auf Jagdtouren und in den Krieg mitgenommen, und kümmern sich darum, dass selbst in diesen Zeiten, wo man fern der Heimat ist, immer emotionale Unterstützung zur Verfügung steht. Und dafür sind sie in diesen Völkern hoch angesehen und werden hoch geehrt, das ist ihre Aufgabe, so wie andere Männer vielleicht Krieger sind.

Weil man erkannt hat, dass Alleinsein nicht gesund ist. Alleine sind dann nur noch die, die das wirklich wollen, und selbst die nicht immer, sondern frühestens nach der Pubertät, wenn der Initiationsprozess abgeschlossen ist. Ob dann noch wirklich jemand allein sein will, ist eine andere Frage… Es ist schwierig, das aus unserer Sicht zu beurteilen, weil wir eben eingetrichtert bekommen haben, dass die große, lebenslange Liebe zwischen Mann und Frau ein Ideal ist, das irgendwie jeder suchen soll. Diese Völker legen mehr Wert darauf, dass jeder immer jemanden hat, der ihm beisteht, egal ob Mann oder Frau, und egal, ob immer derselbe.
DannyDark

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von DannyDark »

AB's gab es, gibt es, und wird es immer geben,
es findet eben NICHT jeder Mensch einen Partner/in...,
vieleicht ist das einfach "Natürliche Auslese"...
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

DannyDark hat geschrieben:AB's gab es, gibt es, und wird es immer geben,
es findet eben NICHT jeder Mensch einen Partner/in...,
vieleicht ist das einfach "Natürliche Auslese"...
Diese Sichtweise geht eben davon aus, dass sich Partner suchen und finden müssen, dass man sich entscheiden muss, mit wem man eine Partnerschaft beginnt, dass dann natürlich auch manche Pech haben können, und dass man überhaupt immer nur entweder einen oder keinen Partner hat. Das ist aber eine Vorstellung, die es nur geben kann, wenn überhaupt das Ideal besteht, dass genau zwei Personen zusammen gehören, und nur dann schwierig wird, wenn man den Kreis der potentiellen Partner noch zusätzlich künstlich einschränkt. Aber das ist eine Einschränkung, die es so eben nicht geben muss. Ja, es stimmt, wenn die Gesellschaft so funktioniert, wie bei uns, dann wird es vermutlich immer ABs geben. Aber das nur, weil unsere Gesellschaft nach ziemlich künstlichen und gleichzeitig auch noch ziemlich stark einschränkenden Regeln funktioniert.

Wie gesagt, bei vielen dieser Völker muss niemand suchen, und es gibt auch keine Auslese. Jeder wird mitgenommen, jeder bekommt jemanden (meistens sogar mehrere), und es gibt immer Personen, die für absolut jeden da sind, deren genaue Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass es keine "Abs" gibt (siehe oben die Berdache). Das ist natürlich eine genauso künstliche Gesellschaftsform, wie unser hetersoexeulles Monogamie-Ideal, aber es legt eben einen ganz anderen Schwerpunkt: das ganze System ist genau darauf ausgerichtet, dass niemand allein ist, und deswegen gibt es auch keine ABs.
Mondstaub

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von Mondstaub »

AtTheRearWindow hat geschrieben:aber es legt eben einen ganz anderen Schwerpunkt: das ganze System ist genau darauf ausgerichtet, dass niemand allein ist, und deswegen gibt es auch keine ABs.
1.) Gab es immer ABs, das waren früher z.B. die "alten Jungfern"

2.) Ist Homosexualität schon akzeptiert (habe mehrere Homo-Bekannte und die wollen teils weniger mit mir zu tun haben, als ich mit ihnen)

3.) Sind ABs nicht homosexuell und das nützt ihnen gar nichts

Und 4.) Gibt es bei anderen Völkern vielleicht weniger ABs, weil da alte, hässliche Männer minderjährige Kinder zwangsheiraten. *kotz* Ist ja in mehreren Ländern üblich..
Mondstaub

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von Mondstaub »

AtTheRearWindow hat geschrieben:Das ist im Prinzip das Gegenteil von Prostitution: nicht eine Person, die sich dafür bezahlen lässt, dass sie auf sich nimmt, mit jemanden Sex zu haben, ohne Gefühle – sondern eine Person, die von sich aus die Einsamen sucht und ihnen das gibt, was sie zum Glücklichsein brauchen, sowohl sexuell als auch emotional. Diese Männer werden zum Beispiel auch auf Jagdtouren und in den Krieg mitgenommen, und kümmern sich darum, dass selbst in diesen Zeiten, wo man fern der Heimat ist, immer emotionale Unterstützung zur Verfügung steht. Und dafür sind sie in diesen Völkern hoch angesehen und werden hoch geehrt, das ist ihre Aufgabe, so wie andere Männer vielleicht Krieger sind.
Na klar ist das Prostitution... die müssen doch auch essen und Kleidung anziehen und bekommen das dann bezahlt, gelle.

Außerdem kann ich mir persönlich nicht vorstellen, dass jemand wirklich ohne Ekel mit jedermann Sex haben kann. Gibt ja nun mal viele Menschen, die einen alleine schon optisch nicht ansprechen. Oder charakterlich..
Zuletzt geändert von Mondstaub am 15 Okt 2013 20:24, insgesamt 1-mal geändert.
klecks

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von klecks »

Sollten jetzt alle westlichen AB's auswandern? :mrgreen: *duck und weg*

Der Sichtweise dieser anderen Völker kann ich durchaus etwas abgewinnen. Aber gibt es nicht auch bei uns solche Formen bei genauerem Hinsehen? Es gibt zwar das heterosexuelle Paar im Zentrum, das eine Familie gründet. Im Alltag leben aber doch oft die Männer eher in ihrer Männerwelt, die Frauen in der Frauenwelt. Und man kann sich langfristig fragen, wer einem im Leben wirklich Halt und Unterstützung gibt. Familie? Der Partner, die Partnerin? Der gute Freund, die beste Freundin? Eine Mischung aus allem?

Was ich sagen wollte: Bei ein bisschen mehr Offenheit füreinander hat auch unsere Gesellschaft allerhand sozialen Gestaltungsspielraum.

Ich als "Alte" kann dich "Jungschen" auch einfach mal so im öffentlichen Forum umarmen. :umarmung2: Besser als gar nix. :mrgreen: (Nein, ich habe nichts getrunken, bin nur müde. :schlafen: )
Mondstaub

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von Mondstaub »

AtTheRearWindow hat geschrieben:Wenn man in einem bestimmten Alter ist, dann wird einfach dafür gesorgt, dass wirklich jeder Gelegenheit hat, seine Sexualität zu erfahren und auszuleben.
Was du als toll beschreibst, klingt für mich übrigens gruselig. Spätzünder werden mit Druck sexualisiert... und wieviel Kindesmissbrauch bei so etwas stattfand, möchte ich gar nicht wissen (... "ist es zum Beispiel so, dass alle jungen Männer Sex und Partnerschaft mit allen Erwachsenen Männern haben, oder dass die Häuptlinge/Anführer/Medizinmänner sich allein um alle kümmern, und bei den Frauen meistens genauso".) Ich persönlich hätte übrigens rein null Interesse an sexuellem Kontakt mit Frauen. Das war auch schon immer so. Es gibt halt Menschen, die Homosexualität bei anderen tolerieren, aber selbst kein Stück Homo sind.
UngebetenerGast

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von UngebetenerGast »

Manche Mären scheinen einfach nicht auszusterben, auch wenn sie längst als unhaltbar erwiesen wurden.

Nun scheint also wieder einmal angesagt, die Mär von der westlich-christlichen Enthaltsamkeit verbreiten zu müssen.
Die Quellen zeigen ein anderes Bild: Manche Bischöfe zogen die Strafsteuern für konkubinierende Priester gleich von allen Geistlichen ein, der Einfachheit halber. Die sexuellen Aktivitäten in Klöstern waren bekannt und wurden oft beschrieben. In manchen Gegenden nannte man Prostituierte einfach "Nonnen", ein Visitationsbericht eines "strengen" Ordens, der Zisterzienser, beschrieb, dass in einem Kloster jeder Mönch mit einer Frau in seiner Zelle lebte. Die Reformatoren begründeten die Abschaffung des Zölibats ausdrücklich damit, dass die "Ehrlichkeit" statt der nur vorgetäuschten Enthaltsamkeit einziehen solle.
Selbst in der frühen Neuzeit stand es um die angebliche Enthaltsamkeit nicht besonders gut: Bordelle bestanden fast überall, oft von den Städten betrieben, und auf diesem Weg verbreitete sich offenbar auch die Syphilis von den Schiffen des Kolumbus rasch über ganz Europa. An manchen Höfen verlangte es gleichsam die gute Sitte, dass jede mit jedem schlief und zumindest der Herrscher und die höchsten Adligen mehrere Mätressen hielten, was dann auch in die Pariser Salons (und später in jene in Wien, Berlin usw.) übernommen und "verbürgerlicht" wurde.

Dann muss natürlich auch die Mär der gewählten Homosexualität wieder aufgewärmt werden, obwohl inzwischen zahlreiche Untersuchungen nahelegen, dass die sexuelle Orientierung nicht "gewählt" wird, auch nicht in der Kindheit oder Jugend und schon gar nicht in älteren Jahren erworben, sondern schlicht und einfach angeboren ist.

Zu schlechter letzt gab es schon immer Beispiele von ABs, die aus irgendwelchen Gründen allein blieben. Dem berühmten und rechtshistorisch wichtigen Kronanwalt Bacon unter Elisabeth I. und James I. wurde Homosexualität unterstellt, obwohl es niemals ein eindeutiges Verdachtsmoment gab. Doch wie stand es etwa mit Basileios dem "Bulgarenschlächter", Kaiser von Byzanz? Ihm konnte und kann gewiss keine Homosexualität unterstellt werden, auch nicht, dass er keine Chance gehabt hätte, eine Frau zu bekommen (er hätte sich jederzeit eine nehmen können, und das im buchstäblichen Sinne). Folglich müssen andere, vielleicht eher persönliche Gründe postuliert werden.

Aber lassen wir das lieber, es soll sich jeder und jede mit den Mären befassen dürfen, die belieben.
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

Mondstaub hat geschrieben: 1.) Gab es immer ABs, das waren früher z.B. die "alten Jungfern"

2.) Ist Homosexualität schon akzeptiert (habe mehrere Homo-Bekannte und die wollen teils weniger mit mir zu tun haben, als ich mit ihnen)

3.) Sind ABs nicht homosexuell und das nützt ihnen gar nichts

Und 4.) Gibt es bei anderen Völkern vielleicht weniger ABs, weil da alte, hässliche Männer minderjährige Kinder zwangsheiraten. *kotz* Ist ja in mehreren Ländern üblich..
ad 1.) Die alten Jungfern gibt es nur im westlichen System, eben weil sie durch das Raster gerutscht sind. Vor dem Auftauchen dieses Systems (mit "früher" im Titel meine ich vor dem 4. Jh. nach Christus bzw. in anderen Ländern vor Ankunft der Europäer) gab es auch keine alten Jungfern.

ad 3.) Der Anteil an genetisch bedingt homosexuellen Menschen liegt, je nach Studie, zwischen 5 und 20 Prozent. Hier geht es aber gar nicht um Homosexualität, sondern um Ambisexualität, und das sind vermutlich alle Menschen. Bisexualität ist auf jeden Fall etwas vollkommen anderes und mit ziemlicher Sicherheit zu 100& kulturell geprägt! Wenn man als Anthropologe diese Gesellschaften untersucht, dann stellt man fest, dass wirklich zwischen 85 und 100 Prozent der Menschen sexuelle und romantische Beziehungen zu beiden Geschlechtern unterhalten, einfach weil es für alle normal ist, und niemand überhaupt auf die Idee kommt, auf eine der beiden Optionen freiwillig zu verzichten. Vielleicht mögen die einen ihr eigenes Geschlecht lieber, oder die anderen lieber das andere Geschlecht, aber offen für beide sind alle. Interessanterweise ist es so, dass die allermeisten Menschen in diesen Kulturen lieber das eigene Geschlecht mögen, einfach weil da viel mehr über Freundschaft und Sympathie läuft. Ehen zwischen Mann und Frau werden oft Arrangiert, die Liebschaften mit dem eigenen Geschlecht kann man sich frei aussuchen.

ad 4.) Interessanterweise gibt es Zwangsehen fast ausschließlich bei heterosexuellen Beziehungen, weil irgendwie die Fortpflanzung gesichert werden muss. Gleichgeschlechtliche Beziehungen kommen offener zustande, und genau deswegen sind sie meisten auch beliebter.
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

Mondstaub hat geschrieben:
AtTheRearWindow hat geschrieben:Das ist im Prinzip das Gegenteil von Prostitution: nicht eine Person, die sich dafür bezahlen lässt, dass sie auf sich nimmt, mit jemanden Sex zu haben, ohne Gefühle – sondern eine Person, die von sich aus die Einsamen sucht und ihnen das gibt, was sie zum Glücklichsein brauchen, sowohl sexuell als auch emotional. Diese Männer werden zum Beispiel auch auf Jagdtouren und in den Krieg mitgenommen, und kümmern sich darum, dass selbst in diesen Zeiten, wo man fern der Heimat ist, immer emotionale Unterstützung zur Verfügung steht. Und dafür sind sie in diesen Völkern hoch angesehen und werden hoch geehrt, das ist ihre Aufgabe, so wie andere Männer vielleicht Krieger sind.
Na klar ist das Prostitution... die müssen doch auch essen und Kleidung anziehen und bekommen das dann bezahlt, gelle.

Außerdem kann ich mir persönlich nicht vorstellen, dass jemand wirklich ohne Ekel mit jedermann Sex haben kann. Gibt ja nun mal viele Menschen, die einen alleine schon optisch nicht ansprechen. Oder charakterlich..
Also bezahlt werden die nicht, oder nicht anders, wie halt der Jäger, der einmal in der Woche jagt und trotzdem jeden Tag Essen und Kleidung bekommt, oder die Frau, die zuhause auf die Kinder aufpasst, und trotzdem essen darf, was die Jäger mitbringen. Das ist eben eine Rolle in der Gesellschaft, eine Art Beruf, zu dem auch niemand gezwungen wird. Die einzige "Bezahlung", die über die normale Versorgung mit allem Nötigen hinausgeht, ist, dass diese Männer eben sehr verehrt und geehrt werden. Meistens sind sie gleichzeitig die Medizinmänner, oder die Häuptlinge. Mit Prostitution hat das aber nichts zu tun, weil man nicht zu ihnen geht, wenn man Sex haben will, sondern die regelmäßig bei jedem mal vorbeischauen.

Nein, natürlich will nicht jeder mit jedem gleich gerne Sex haben. Bei vielen südamerikanischen Stämmen ist es so, dass die schönsten Jungen sich aussuchen dürfen, welcher Krieger ihr Partner wird, während die nicht so schönen eben die nehmen, die übrig bleiben (bei den Frauen genauso, da hat dann die Frau des Häuptlings Hoffnung auf die schönsten Mädchen). Und es gibt ja immer mehr Erwachsene als Jugendliche, versorgt ist also jeder. Man darf auch nicht unsere Maßstäbe von Schönheit anlegen. Dass das Aussehen bei der Partnerwahl und beim Sex überhaupt so eine große Rolle spielt, liegt nur daran, dass in unserer Gesellschaft eben eine Auswahl getroffen wird, und man dafür ein Kriterium braucht. In diesen Völkern wird nicht ausgewählt und niemand abgelehnt.
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

Mondstaub hat geschrieben:
AtTheRearWindow hat geschrieben:Wenn man in einem bestimmten Alter ist, dann wird einfach dafür gesorgt, dass wirklich jeder Gelegenheit hat, seine Sexualität zu erfahren und auszuleben.
Was du als toll beschreibst, klingt für mich übrigens gruselig. Spätzünder werden mit Druck sexualisiert... und wieviel Kindesmissbrauch bei so etwas stattfand, möchte ich gar nicht wissen (... "ist es zum Beispiel so, dass alle jungen Männer Sex und Partnerschaft mit allen Erwachsenen Männern haben, oder dass die Häuptlinge/Anführer/Medizinmänner sich allein um alle kümmern, und bei den Frauen meistens genauso".) Ich persönlich hätte übrigens rein null Interesse an sexuellem Kontakt mit Frauen. Das war auch schon immer so. Es gibt halt Menschen, die Homosexualität bei anderen tolerieren, aber selbst kein Stück Homo sind.
"Kindesmissbrauch" ist ein Wort, dass nur in unserer Gesellschaft Sinn macht. Nicht falsch verstehen! Wenn ein Kind gegen seinen Willen zu etwas gezwungen wird, dann ist das ein Verbrechen! Aber dort suchen die Jungen von sich aus die älteren Männer (und die Mädchen von sich aus die älteren Frauen), weil es genau das ist, was normal ist, so wie bei uns zur Schule zu gehen. Spätzünder weiß ich nicht, ob es die unter diesen Umständen überhaupt geben kann. Wenn man wirklich von Beginn der körperlichen Pubertät an sexuell gefördert wird, dann gibt es, glaube ich, auch keine Spätzünder wie bei uns. (Und "sexuell gefördert" heißt nicht, dass man vergewaltigt wird, sondern einfach nur, dass Sex kein Tabuthema ist, sondern vollkommen normal und jederzeit für jeden ersichtlich. Auf Neuguinea ist es bei den meisten Völkern üblich, dass der Sex auf dem Dorfplatz vollzogen wird, wo jeder es sieht, schon von Geburt an. Da hat keiner Hemmungen.)

Und wie oben gesagt, ob jemand eher dem anderen oder dem eigenen Geschlecht zuneigt, ist durch die Anlage vorgegeben und kann nicht geändert werden. Aber egal, von welcher Seite man kommt, im Prinzip ist jeder Mensch ambisexuell, und wie sehr bisexuell man dann ist, ist allein durch die kulturelle Prägung vorgegeben. Ich habe mich auch noch nie zu einem Mann hingezogen gefühlt, aber nur, weil ich von der Hetero-Seite komme in einer Kultur lebe, in der es nicht absolut normal ist, dass ich diese Seite jederzeit auch verlassen kann. In diesen Gesellschaften gibt es wirklich Bisexualitätsraten von nahezu 100%, und das sind nicht Leute, die sich zu irgendwas zwingen müssen, sondern einfach Menschen, die so leben, wie es ihnen als normal anerzogen worden ist.
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

UngebetenerGast hat geschrieben:Manche Mären scheinen einfach nicht auszusterben, auch wenn sie längst als unhaltbar erwiesen wurden.

Nun scheint also wieder einmal angesagt, die Mär von der westlich-christlichen Enthaltsamkeit verbreiten zu müssen.
Die Quellen zeigen ein anderes Bild: Manche Bischöfe zogen die Strafsteuern für konkubinierende Priester gleich von allen Geistlichen ein, der Einfachheit halber. Die sexuellen Aktivitäten in Klöstern waren bekannt und wurden oft beschrieben. In manchen Gegenden nannte man Prostituierte einfach "Nonnen", ein Visitationsbericht eines "strengen" Ordens, der Zisterzienser, beschrieb, dass in einem Kloster jeder Mönch mit einer Frau in seiner Zelle lebte. Die Reformatoren begründeten die Abschaffung des Zölibats ausdrücklich damit, dass die "Ehrlichkeit" statt der nur vorgetäuschten Enthaltsamkeit einziehen solle.
Selbst in der frühen Neuzeit stand es um die angebliche Enthaltsamkeit nicht besonders gut: Bordelle bestanden fast überall, oft von den Städten betrieben, und auf diesem Weg verbreitete sich offenbar auch die Syphilis von den Schiffen des Kolumbus rasch über ganz Europa. An manchen Höfen verlangte es gleichsam die gute Sitte, dass jede mit jedem schlief und zumindest der Herrscher und die höchsten Adligen mehrere Mätressen hielten, was dann auch in die Pariser Salons (und später in jene in Wien, Berlin usw.) übernommen und "verbürgerlicht" wurde.

Dann muss natürlich auch die Mär der gewählten Homosexualität wieder aufgewärmt werden, obwohl inzwischen zahlreiche Untersuchungen nahelegen, dass die sexuelle Orientierung nicht "gewählt" wird, auch nicht in der Kindheit oder Jugend und schon gar nicht in älteren Jahren erworben, sondern schlicht und einfach angeboren ist.

Zu schlechter letzt gab es schon immer Beispiele von ABs, die aus irgendwelchen Gründen allein blieben. Dem berühmten und rechtshistorisch wichtigen Kronanwalt Bacon unter Elisabeth I. und James I. wurde Homosexualität unterstellt, obwohl es niemals ein eindeutiges Verdachtsmoment gab. Doch wie stand es etwa mit Basileios dem "Bulgarenschlächter", Kaiser von Byzanz? Ihm konnte und kann gewiss keine Homosexualität unterstellt werden, auch nicht, dass er keine Chance gehabt hätte, eine Frau zu bekommen (er hätte sich jederzeit eine nehmen können, und das im buchstäblichen Sinne). Folglich müssen andere, vielleicht eher persönliche Gründe postuliert werden.

Aber lassen wir das lieber, es soll sich jeder und jede mit den Mären befassen dürfen, die belieben.
Keine Sorge, als (angehendem) Historiker darfst Du mir schon zutrauen, dass ich eine Mär von der anderen unterscheiden kann! Obwohl ich eben gerade als Historiker eben dazu neige, zu sagen, dass es nur Mären gibt, und keine "Wahrheit" :D

Ich wollte auch nicht behaupten, dass das Christentum an sich sexfeindlich ist, nicht einmal homophob (teilweise ganz im Gegenteil…). Ich habe deswegen auch immer vom christlich-westlichen Kulturkreis und dessen Ethik gesprochen. Und da spielt eben die Monogamie eine herausgehobene Rolle. Historisch natürlich höchst wechselhaft, und vieles wird auch verklärt. "Kein Sex vor der Ehe" ist im Prinzip eine Erfindung des 18./19. Jahrhunderts, vorher wäre auch in Europa niemand auf die Idee gekommen, das zu verlangen… :) Ich gebe zu, dass ich den Begriff "früher" bewusst offen gelassen habe, aber eigentlich meinte ich damit auch keine feste Zeitepoche, sondern alle Kulturen, die nicht so sind, wie die, die sich in Europa zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert verschieden stark und schnell entwickelt hat und sich von dort aus im 17.–20. Jahrhundert auf der ganzen Welt verbreitet hat.

Zur Homosexualität: Natürlich hast Du Recht damit, dass die Anlage zur Orientierung teils genetisch, teils durch andere Anlagefaktoren, die noch nicht klar beschrieben sind, vorgegeben und unveränderlich ist. Niemand kann sich entscheiden, ob er hetero- oder homosexuell ist! Aber die Biologie und die Anthropologie gehen heute gerade von der natürlichen Ambisexualität des Menschen aus. Die dadurch mögliche (nicht zwingende, aber mögliche) Bisexualität ist ein kulturelles Phänomen, das allein durch die Kultur geprägt wird, und nichts mit der Anlage zu tun hat. Jeder Mensch kommt von einer der beiden Seiten ins Spektrum hinein, und wie weit er geht, liegt an der Kultur. Der beste Beweis dafür ist ja gerade, dass in diesen Gesellschaften wirklich alle bisexuell leben und das auch genießen.
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

klecks hat geschrieben:Sollten jetzt alle westlichen AB's auswandern? :mrgreen: *duck und weg*

Der Sichtweise dieser anderen Völker kann ich durchaus etwas abgewinnen. Aber gibt es nicht auch bei uns solche Formen bei genauerem Hinsehen? Es gibt zwar das heterosexuelle Paar im Zentrum, das eine Familie gründet. Im Alltag leben aber doch oft die Männer eher in ihrer Männerwelt, die Frauen in der Frauenwelt. Und man kann sich langfristig fragen, wer einem im Leben wirklich Halt und Unterstützung gibt. Familie? Der Partner, die Partnerin? Der gute Freund, die beste Freundin? Eine Mischung aus allem?

Was ich sagen wollte: Bei ein bisschen mehr Offenheit füreinander hat auch unsere Gesellschaft allerhand sozialen Gestaltungsspielraum.

Ich als "Alte" kann dich "Jungschen" auch einfach mal so im öffentlichen Forum umarmen. :umarmung2: Besser als gar nix. :mrgreen: (Nein, ich habe nichts getrunken, bin nur müde. :schlafen: )
Ja, das ist im Kern der Punkt: eigentlich ist es ja in praktisch allen Kulturen üblich, dass Männer und Frauen die meiste Zeit in getrennten Welten verbringen. Bei den beschriebenen Gesellschaften finden eben auch die komplette Pubertät in diesen Sphären statt, und da ist es nur natürlich, dass man sich an dem orientiert, was um einen herum los ist. Und deswegen ist es zum Beispiel auch so, dass es in diesen Völkern ganz oft so ist, dass auch später, wenn dann nach der Pubertät fast jeder heterosexuell heiratet, er oder sie immer noch eine/n beste/n Freund/in hat, aus alten Zeiten, wo man einfach eine unglaubliche starke emotionale Bindung schon seit Jahren aufgebaut hat. Nur das diese Bindung meistens auch eine sexuelle Komponente hat, die bei uns unterdrückt wird. Bei einigen südamerikanischen Stämmen ist es üblich, dass Eheleute sich dann, wenn die Frau zu alt zum Kinderkriegen ist, trennen, und der Mann zu seinem Freund und die Frau zu ihrer Freundin zieht, weil man sich mit denen schon immer besser versteht. Als ein Anthropologe auf Neuguinea eine Umfrage gemacht hat, war das Ergebnis, dass die meisten Männer zwar gerne Sex mit ihrer Frau haben, aber viel lieber noch mit ihrem besten Freund, weil das einfach der Mensch ist, der ihnen seit Kindertagen emotional am nächsten steht, und mit dem sie ihre Sexualität am liebsten teilen. Vermutlich macht es wirklich die Mischung, auch bei uns.

Danke für die öffentliche Umarmung, ich fühle mich auch nicht durch die "Alte" öffentlich belästigt :lol: Gebe ich gerne zurück: :umarmung2: Gute Nacht!
Red Roar

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von Red Roar »

Was will man in einer verklemmten Gesellschaft wie Deutschland erwarten ? Bereits in Dänemark in den Sammelumkleidekabinen schämt sich niemand für seine Nacktheit. Wenn die deutschen Konserven schon heulend ihre CDU wählen weil diese gegen Homosexuelle hetzt, wie überfordert sind dann die Meisten erst mit noch freizügigeren Gesellschaften ?
Finde das System "Jeder bekommt Sexualität" durchaus reizvoll und interessant. Die Zuteilung des Partners finde ich auch nicht schlechter wie das System "jeder sucht und die Starken und Harten bekommen den Partner" wie in Deustchland. Dann muss man sich halt mal zusammenraufen und den Partner lieben lernen, aber das würde ja Anstrengung bedeuten.
DannyDark

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von DannyDark »

AtTheRearWindow hat geschrieben:Wenn man in einem bestimmten Alter ist, dann wird einfach dafür gesorgt, dass wirklich jeder Gelegenheit hat, seine Sexualität zu erfahren und auszuleben...
Ich behaupte mal das Nicht jeder seine Sexualität ausleben kann...,
denn Nicht jeder findet einen Partner/in...
klecks

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von klecks »

Es mag ein bisschen abkommen vom engeren Kern des Ausgangsthemas, aber es spielt auch die Frage mit rein, wo und wie und wodurch lebt man denn seine Sexualität aus? Es gibt sehr eng gefasste Konzepte von Sexualität. Das ist dann der Koitus und noch ein bisschen was an Spielereien drumrum. :mrgreen: Der Begriff ist sehr eng mit der Fortpflanzung verbunden. Aber ist unsere Sexualität nicht immer "wach"? Lust ist ja schon ein weiter gefasster Begriff. Erotik auch. Was ist mit Begriffen wie Leidenschaft und Hingabe?

Wann und wo und wie sind wir LUSTig? :lol: Wenn man Sexualität als Energie auffasst, dann kann die ja in viele Lebensbereiche fließen: In den Sport, die Musik, den Tanz, die Pädagogik (es gibt ja auch das Konzept des "Pädagogischen Eros") , in das Fahren und Kaufen und Verkaufen GEILER :mrgreen: Autos ... (Stefan73 :winken: ), die Schauspielerei.

Also, für mich ist das überhaupt keine merkwürdige Vorstellung, dass MEINE Sexualität "on" ist, wenn ich Beziehungen jeglicher Art knüpfe, aber eben nicht im engen "sexualisierten" Sinn. Natürlich kann es zwischen einer Frau und mir heftig knistern (mehr als einmal erlebt! :shylove: ), natürlich ist die Grenze zwischen "emotionalen" und "sexuellen" Berührungen fließend. Und wenn selbst ein katholischer Theologe katholischen Mystikerinnen des Mittelalters Orgasmen bei kontemplativen Übungen "bescheinigen" (vielleicht ist das so eine Art weibliche Form des "männlichen Singens unter der Dusche" ? :mrgreen: ), dann ist das Ausleben von Sexualität eben viel mehr - auch in unserem Kulturkreis! - als das durchaus begehrenswerte Rein-Raus-Spiel.

Und dann wäre (eigentlich nicht wäre, sondern ist) für mich nicht vordergründig die Frage, wo kriege ich als AB einen Partner/eine Partnerin her, sondern wie kriege ich meine Sexualität im Alltag "on". So wie ich mich nach inzwischen doch einigen sexuellen und partnerschaftlichen Erfahrungen immer noch frage: Wer "entzündet" eigentlich die Liebe und das Begehren in uns? Ist es tatsächlich ein passendes Gegenüber, mit dem ich "in Resonanz" gehen kann, wo etwas in Schwingung gerät (Herrjeh, ich habe es nicht so mit den Naturwissenschaften :mrgreen: ) ? Oder ist es eher eine Summe vielfältigen In-Beziehung-Tretens mit verschiedenen Anteilen meiner Persönlichkeit und verschiedenen Menschen und der Natur, die mich "erweckt" bzw. "wach hält"?

Ich neige zur letzteren Sicht. Weil sie mich unabhängiger macht von dem Prinz/der Prinzessin, die mich wachküssen.

O.k., im klassischen Deutschunterricht bekäme ich bestimmt jetzt das Feedback: Thema verfehlt. :mrgreen:
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

DannyDark hat geschrieben:
AtTheRearWindow hat geschrieben:Wenn man in einem bestimmten Alter ist, dann wird einfach dafür gesorgt, dass wirklich jeder Gelegenheit hat, seine Sexualität zu erfahren und auszuleben...
Ich behaupte mal das Nicht jeder seine Sexualität ausleben kann...,
denn Nicht jeder findet einen Partner/in...
Also den anthropologischen Studien zufolge gibt es in den meisten der gemeinten Gesellschaften Mechanismen, die das verhindern. Es gibt dort schlicht nicht das System, in dem sich Paar suchen und finden, und in dem man bestimmte Anforderungen erfüllen muss, um von einer anderen Person zum Partner erwählt zu werden. Solche Vorstellungen können sich nur in einer Gesellschaft, die wie unsere funktioniert, entwickeln. In anderen Gesellschaften spielt soetwas schlicht keine Rolle. Stattdessen gibt es verschiedenste kulturelle Elemente, die vollkommen anders funktionieren. Es kann natürlich sein, dass den Anthropologen schlicht nicht aufgefallen ist, dass doch welche durch das Raster fallen, aber so wie die Gesellschaften beschrieben werden, könnte ich mir ehrlich nicht vorstellen, wie das passieren sollte. Es ist ein komplett anderes Aufwachsen, in der von frühester Kindheit an starker Gruppenzusammenhalt eingeübt wird. Jeder kümmert sich um jeden, anders kann man um Urwald auch gar nicht überleben. Selbst wenn man wollte, könnte man sich dem nicht entziehen, aber es ist auch unwahrscheinlich, dass das jemand wollen sollte, weil eben die gesamte Kultur so funktioniert. Und Sexualität ist ganz normaler Bestandteil jeder Beziehung, nicht nur der "romantischen", sondern auch jeder freundschaftlichen, oder einfach nur des Zusammenlebens.
Das sieht man besonders gut an den Frauen: Bei den Männern sind die ganzen Sachen meistens hochgradig ritualisiert und geregelt, und alles hat eine Bedeutung, weil Männer eben die Kultur dominieren. Bei den Frauen gibt es das nicht so stark. Trotzdem ist es aber einfach ganz selbstverständlich, dass auch die Frauen miteinander sexuelle Freundschaften eingehen, ohne dass das irgendeine religiöse Bedeutung hätte, einfach weil es das normale Zusammenleben ist.

Zum Beispiel ist es bei den meisten Stämmen auf Neuguinea so, dass Sperma als Element der Lebenskraft gesehen wird. Sperma zu essen gilt als gesund, alte Leute bekommen Sperma in ihr Essen gemischt, damit sie gesund werden und noch lange leben. Jemanden sein Sperma zu geben, ist eine Geschenk, und jemandes Sperma zu bekommen eine Ehre. Und das ist dann im Laufe der Zeit zu einem Höflichkeitsritual geworden, das man einfach nicht ablehnen kann. Wenn zwei Männer den Tag über verbracht haben, z.B. auf der Jagd, auf dem Feld, beim Hausbau oder sonstwas, dann ist es ganz normal, dass sie sich am Ende des Tages gegenseitig einen blasen und das Sperma des anderen Mannes essen dürfen. Ihnen das zu verweigern wäre extrem unhöflich, und niemand käme auf die Idee, das zu tun. In vielen südamerikanischen Stämmen und bei den Zivilisationen des alten Orients gab es einen ähnlichen Glauben an die Macht des Spermas, nur dass es da so ist, dass man der Göttin das Sperma geben muss, damit der Boden fruchtbar ist. Indem man die Göttin befruchtet, befruchtet man also die Felder, und daran muss sich jeder Mann beteiligen. Praktisch läuft das dann so ab, dass es im Tempel Priester gibt, die die Rolle der Göttin übernehmen, und mit denen die Männer Sex haben, als eine Art Gottesdienst, an dem natürlich alle Gläubigen teilnehmen. Die berühmte Bestimmungen in Levitikus, auf der sich das Judentum und das Christentum beziehen, wenn sie sagen, dass Homosexualität verboten ist, ist in Wirklichkeit kein Verbot der Homosexualität, sondern nur dieses Gottesdienstes für eine andere Göttin.
AtTheRearWindow

Re: Warum es früher keine ABs gab…

Beitrag von AtTheRearWindow »

klecks hat geschrieben:Es mag ein bisschen abkommen vom engeren Kern des Ausgangsthemas, aber es spielt auch die Frage mit rein, wo und wie und wodurch lebt man denn seine Sexualität aus? Es gibt sehr eng gefasste Konzepte von Sexualität. Das ist dann der Koitus und noch ein bisschen was an Spielereien drumrum. :mrgreen: Der Begriff ist sehr eng mit der Fortpflanzung verbunden. Aber ist unsere Sexualität nicht immer "wach"? Lust ist ja schon ein weiter gefasster Begriff. Erotik auch. Was ist mit Begriffen wie Leidenschaft und Hingabe?

Wann und wo und wie sind wir LUSTig? :lol: Wenn man Sexualität als Energie auffasst, dann kann die ja in viele Lebensbereiche fließen: In den Sport, die Musik, den Tanz, die Pädagogik (es gibt ja auch das Konzept des "Pädagogischen Eros") , in das Fahren und Kaufen und Verkaufen GEILER :mrgreen: Autos ... (Stefan73 :winken: ), die Schauspielerei.

Also, für mich ist das überhaupt keine merkwürdige Vorstellung, dass MEINE Sexualität "on" ist, wenn ich Beziehungen jeglicher Art knüpfe, aber eben nicht im engen "sexualisierten" Sinn. Natürlich kann es zwischen einer Frau und mir heftig knistern (mehr als einmal erlebt! :shylove: ), natürlich ist die Grenze zwischen "emotionalen" und "sexuellen" Berührungen fließend. Und wenn selbst ein katholischer Theologe katholischen Mystikerinnen des Mittelalters Orgasmen bei kontemplativen Übungen "bescheinigen" (vielleicht ist das so eine Art weibliche Form des "männlichen Singens unter der Dusche" ? :mrgreen: ), dann ist das Ausleben von Sexualität eben viel mehr - auch in unserem Kulturkreis! - als das durchaus begehrenswerte Rein-Raus-Spiel.

Und dann wäre (eigentlich nicht wäre, sondern ist) für mich nicht vordergründig die Frage, wo kriege ich als AB einen Partner/eine Partnerin her, sondern wie kriege ich meine Sexualität im Alltag "on". So wie ich mich nach inzwischen doch einigen sexuellen und partnerschaftlichen Erfahrungen immer noch frage: Wer "entzündet" eigentlich die Liebe und das Begehren in uns? Ist es tatsächlich ein passendes Gegenüber, mit dem ich "in Resonanz" gehen kann, wo etwas in Schwingung gerät (Herrjeh, ich habe es nicht so mit den Naturwissenschaften :mrgreen: ) ? Oder ist es eher eine Summe vielfältigen In-Beziehung-Tretens mit verschiedenen Anteilen meiner Persönlichkeit und verschiedenen Menschen und der Natur, die mich "erweckt" bzw. "wach hält"?

Ich neige zur letzteren Sicht. Weil sie mich unabhängiger macht von dem Prinz/der Prinzessin, die mich wachküssen.

O.k., im klassischen Deutschunterricht bekäme ich bestimmt jetzt das Feedback: Thema verfehlt. :mrgreen:
Aber zumindest gestreift :D Ich finde es sehr richtig, dass Du sagst, dass Lust und Sexualität Bestandteil von jedem Lebensbereich sein kann!

In unserer Gesellschaft wird das sehr komisch eingegrenzt: Sex hat man entweder nur mit dem "einen wahren Partner", oder es gibt das andere Extrem, dass man nur bindungslosen Sex mit One-Night-Stands und Random Quickies oder ähnlichem hat. Aber so oder so ist Sex immer etwas, über das man sich in dieser Art Gedanken macht, und das man vom rechtlichen Leben abgrenzen will. Schon Entwürfe wie "Freundschaft mit Vorzügen" werden heftig diskutiert, und meistens geht es dann ja auch schief, weil die Beteiligten entweder doch eine Beziehung wollen, oder im Gegenteil die Gefühle streng raushalten wollen. In vielen der Gesellschaften, die Neill in dem Buch beschreibt, ist Sexualität einfach natürlicher Bestandteil jeder Freundschaft. Wenn zwei Menschen befreundet sind, dann ist es ganz normal, dass sie Sex miteinander haben. Es wäre unhöflich, das nicht zu machen: Bin ich etwa nicht ein guter Freund, dass Du nicht mit mir schlafen willst?!

Und auch das mit dem Kaufen und Verkaufen ist sehr passend: In so vielen Kulturen ist Sex das Ritual, mit dem man Abkommen besiegelt oder gut gelaufene Geschäfte feiert. Bei schüttelt man sich fest die Hände, wenn man einen Vertrag unterschrieben hat, und das fühlt sich wirklich gut an. In Naturvölkern würde man sich nach einem gut gelaufenen Tauschgeschäft gegenseitig befriedigen, und das ist genau dasselbe gute Gefühl, das dort zum Ausdruck kommt.

Jetzt muss man natürlich aufpassen, dass man die Naturvölker nicht übermäßig idealisiert und irgendwelche Traum- und Wunschvorstellungen auf sie projiziert… :mrgreen:

Aber ich habe einfach das Gefühl, dass es in unserer Gesellschaft komisch ist, dass wir so viele Sachen haben, von denen wir uns sicher sind, dass sie ein gutes Gefühl sind: wenn man gute Musik hört, ein gutes Essen genießt, einen beruflichen Erfolg feiert, ein gutes Geschäft macht, Zeit mit einem guten Freund verbringt, Sport macht, mit einem schönen Autor schnell fährt, usw… All das sind gute Gefühle, aber wir würden uns irgendwie dagegen sträuben, anzuerkennen, dass die Lust, die wir dabei spüren, dieselbe oder auch nur so ähnlich ist, wie die sexuelle Lust. Es geht ja gerade nicht darum, dass man in solchen Situationen zusätzlich Sex hat, damit man sich gut fühlt. Sondern weil man sich gerade gut fühlt, kann man auch sexuelle Lust empfinden. Ich glaube, man muss sich ein davon trennen, dass Sex eine ganz andere Form der Lust ist, die man ganz anders behandeln muss, mit der man ganz anders umgehen muss. Lust ist Lust, und jedes Erlebnis, dass uns irgendwie glücklich macht, bewegt sich in einem Spektrum, zu dem auch die sexuelle Lust gehört.
(Da merkt man wieder, dass ich naiver statt qualitativer Hedonist bin… ;) Die deutschsprachige Philosophie definieren naiven Hedonismus immer als die Denkschule, in der es nur eine einzige Art von "Glück" gibt, aber die englischsprachigen Texte sind da einen Schritt näher an der Realität, die reden immer von "pleasure"!)

Zu Deinem letzten Absatz (nicht nach einem Partner suchen, sondern die eigene Sexualität im Alltag "on" kriegen): Man hat auf jeden Fall ein besseres Leben, wenn man das schafft. Wenn man total darauf fixiert ist, dass es da eine bestimmte Form der Lust gibt, die man ohne Partner nicht bekommen kann, dann wird man daran verzweifeln, wenn man sie eben nicht bekommt. Dabei kann man die Lust auch ganz anders erleben, wenn man nur offen dafür ist. Ich als naiver Hedonist jedenfalls versuche danach zu leben. Und ich glaube, ich schätze mich halbwegs realistisch ein, wenn ich sage, dass ich trotz meines Status als HC+AB nicht sexuell frustriert bin. Lust empfinde ich um Leben auch so. Was ich habe ist das Bedürfnis, meine Lust mit jemanden zu teilen und jemanden genauso lustvoll glücklich zu machen, wie ich mich oft glücklich fühle. Dass dieses Bedürfnis unerfüllt bleibt, macht mir zu schaffen :sadman: