Ach, was soll's. Ist der Ruf erst ruiniert und so weiter, und einen so guten Ruf habe ich hier sowieso nicht mehr. Was sollte mich also davon abhalten, hier Aufklärungsarbeit zu leisten, und was hätte ich noch zu verlieren?
Ich sehe das immer wieder, vor allem sehe ich immer wieder die Reaktionen der meisten Menschen auf Bronies. Wie können erwachsene Männer kleine bunte Ponys mögen?
Da wird dann das Buch nach dem Umschlag beurteilt, man geht den einfachen Weg und stellt sich selbst die Frage, was mit diesen erwachsenen Männern los ist. Schwul? Pädophil? Zoophil? Irgendwas muß das doch sein.
Was mit diesen erwachsenen Männern (und Frauen sowie Teenagern) wirklich los ist, was sie alle gemeinsam haben, ist, daß sie das Buch
nicht nach dem Umschlag beurteilen. Daß sie
MLP:FiM eine Chance gegeben haben. Und daß sie eine grandiose Zeichentrickserie entdeckt haben, die annähernd nichts mit dem zu tun hat, was das offizielle Konzept-Artwork ausstrahlt. Ansonsten sind das verschiedenste Leute aus verschiedensten Bereichen des Lebens. Und die sind mitnichten alle schwul und/oder pädophil und/oder zoophil. Die sind auch nicht alle ABs oder so, sehr viele sind verpartnert oder gar verheiratet, es gibt sogar einen Bronymusiker, der mit einer Storyboard-Künstlerin aus dem
MLP:FiM-Team zusammen ist.
Die Frage müßte also eher sein, was mit dieser Serie los ist. Wenn's nicht an den Leuten liegt, wenn die nicht "komisch" sind, dann bleibt ja eigentlich nur noch die Serie als "des Übels Wurzel" übrig, oder? Dann gucken wir uns das mal an.
Diddlina hat geschrieben:Ich mag kleine Ponies, habe als Kind mit denen gespielt, genauso wie mit Barbies. Kann es allerdings nicht verstehen, was erwachsene Männer daran interessiert.
Kann mich da jemand aufklären ?

Okay, mal ein kleines
MLP:FiM 101 für Nichteingeweihte.
Punkt 1: Vergeßt alles, was ihr über
My Little Pony wißt.
Punkt 2: Vergeßt alles, was ihr über
My Little Pony zu wissen glaubt. Also die ganzen Klischees. Um es mit Ks Worten zu sagen: "Von nun an ist das nämlich absolut für den Arsch."
Punkt 3: Es gibt mehrere MLP-Generationen. G1, G2, G3, G3,5, G4.
Friendship is Magic ist die vierte Generation, wird von Ponysammlern (ungleich Bronies, ganz anderes Fachgebiet) G4 genannt.
Punkt 3a: Eigentlich gibt es nur
Friendship is Magic und alles, was davor kam. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.
MLP:FiM hat mit den Altgenerationen ungefähr soviel zu tun wie Daniel Craig mit Roger Moore als Bond.
Die Entstehung war auch eine ganz andere. Bei den Altgenerationen gab's erst die Ponyfiguren. Dann hat man dazu Trickfilme und Trickserien gedreht als TV-Dauerwerbesendungen. Mehr mußte das nicht taugen. Bei
Friendship is Magic hat man es dagegen so ähnlich gemacht wie bei dem
Transformers-Reboot: erst die Verfilmung (allerdings in Form einer Trickserie), dann das Spielzeug. Also genau umgekehrt. Auf diese Weise haben keine vorhandenen Spielzeugponys nebst Zubehör die Macher der Serie vor vollendete Tatsachen gestellt.
Als Produzentin hat Hasbro sich ausgerechnet Lauren Faust ins Boot geholt. Die liebte sowieso schon seit ihrer Kindheit
My Little Pony, fand aber die Trickserie der ersten Generation (bis dahin das beste animierte MLP-Material überhaupt) doof und war generell schwer unzufrieden mit den Klischees, die allgemein Mädchen als Unterhaltung hingekippt wurden. Kitschig, süßlich, ballettprinzessinnenhaft, viel Rosa, gleichzeitig null Action und null wirkliche Spannung, kennt man ja. Und allgemein wurden Kinder unterhaltungsmäßig schon lange für blöd verkauft und in Watte gepackt mit Tiefpunkten wie
Dora the Explorer.
Als man ihr, die sie kurz zuvor sowieso gerade spaßeshalber Konzeptzeichnungen für eine neue
My Little Pony-Generation in einem völlig neuen Stil gemacht hatte, das ganze Franchise in die Hände legte, beschloß sie, einfach mal alles über den Haufen zu werfen, was
My Little Pony mehr als ein Vierteljahrhundert lang war, und es so aufzuziehen, wie sie es haben wollte. Wie sie es als 7jährige schon hatte haben wollen, als sie sich glaubwürdigere, tiefgründigere und durchdachtere Charaktere und Storys für die Ponys ausdachte als Hasbros bezahlte Drehbuchautoren.
Natürlich wollte Hasbro gegenlenken. Natürlich hatte Hasbro eigentlich wieder eine süßlich-stumpfsinnige Dauerwerbesendung gewollt. Aber Lauren Faust hatte einen Dickkopf, und Lauren Faust hatte als leitende Produzentin letztlich das letzte Wort, und sie hatte ihr ganzes Team bei Studio B (heute DHX Media) hinter sich. Sie ließ nur einige wenige, zumeist unvermeidliche Zugeständnisse zu. Vor allem aber zog sie ihre Qualitätssteigerung durch ohne Kompromisse. Charaktere (inklusive Charakterentwicklung, teilweise über Staffeln hinweg), Settings und Storys können sich absolut sehen lassen, nicht nur im Vergleich zu den vorherigen
MLP-Generationen.
Lauren Faust hat nicht nur für bis dahin bei
MLP ungekannten charakterlichen und storymäßigen Tiefgang ge- und Mädchenklischees (bis auf Parodien auf ebendiese) weitgehend entsorgt, sondern auch die Zielgruppe geändert – eigentlich sogar zu Hasbros Gunsten. Nicht mehr 4–7jährige Mädchen, sondern 5–12jährige (verdoppelte Altersspanne = doppelt so große Zielgruppe = mehr verkaufte Ponys) und deren Eltern, und zwar Mütter wie Väter. Zum ersten Mal sollte eine
MLP-Serie ausdrücklich auch von Erwachsenen gesehen werden können.
Das war natürlich ein Freibrief für haufenweise Popkulturreferenzen, die Grundschulmädchen niemals verstehen würden. Und da schöpften Lauren und die Studio-B-Leute aus dem Vollen und wird auch heute noch aus dem Vollen geschöpft, bespielsweise:
- Star Wars: Die Abschlußszene der Pilotdoppelfolge ist Einstellung für Einstellung von der Abschlußszene von Die dunkle Bedrohung nachgedreht, die Abschlußszene des Zweiteilers wiederholt diese Masche noch detaillierter mit Krieg der Sterne/[/i]Eine neue Hoffnung[/i], und es gibt mittlerweile auch eine Referenz auf die Yoda-Szenen in Das Imperium schlägt zurück.
- Star Trek: Discord, der Widersacher im Anfangszweiteiler von Staffel 2, ist Q bis hin zum Darsteller John de Lancie. (Wie gesagt, diese Doppelfolge endet mit einem Star-Wars-Zitat.)
- Der Pilotzweiteiler zitiert im ersten Teil sehr viel Disneys Dornröschen und spielt allgemein, besonders aber im zweiten Teil, auf Das fünfte Element an.
- DREI Anspielungen bisher auf Heart of Darkness bzw. Apocalypse Now.
- Jede Menge Herr der Ringe.
- Die Drehkamera in Tischmitte aus Die wilden 70er.
- Eine Folge in der zweiten Staffel referenziert Spider-Man, Batman und Darkwing Duck.
- Eine andere trägt Referenzen zu Terminator und noch deutlicher zu Metal Gear Solid.
- The Big Lebowski. Nein, wirklich: Der Dude, Walter, Donny und Jesus als Ponys.
- Trainspotting. Ist das immer noch eine dümmliche Kleinmädchenserie?
- Rarity zitiert Greta Garbo. Inklusive Akzent. Zweimal innerhalb der ersten Staffel.
- In einer anderen Folge landet sie in einer 2001: Odyssee im Weltraum-Anspielung. Dieselbe Folge hat eine ziemlich deutliche auf X-Men.
- Das Finale der ersten Staffel ist randvoll mit Cinderella-Reminiszenzen (der teilweise dekonstruierenden Art). Und ein bißchen Schneewittchen. Jeweils die Disney-Verfilmungen.
- KISS, Queen, David Bowie, die Beatles... wenn man eine Licensing Expo dazuzählt, sogar Spın̈al Tap.
- André Agassi als Pony, Karl Lagerfeld als Pony, Mr. T als Minotaurus...
- Nicht nur Indiana Jones in nunmehr zwei Folgen, sondern in einer Folge sogar die Indiana Jones-Verarsche in UHF. (Übrigens ist Weird Als Erscheinen in der Serie für die aktuelle Staffel angekündigt.)
- Wohlgemerkt, in der Mitte der ersten Staffel waren die Macher der Serie sich der Bronies schon bewußt und produzierten seitdem auch für die als Zielgruppe. Mit jeder Staffel wird das deutlicher.
Damit sind also die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Serie an sich gegeben.
Aber wie kam letztlich der Erfolg zustande?
4chan. Klingt komisch, is aber so.
Ausgerechnet auf dem berüchtigten Imageboard 4chan, genauer gesagt auf /co/, erklärten sich fünf wackere Gesellen bereit, sich die neue
My Little Pony-Serie mal anzusehen, und sei es, um zumindest fundiertes Wissen darüber zu haben, was sie da eigentlich verreißen, wenn sie es hinterher verreißen. Immer nur "kenn ich nicht, mag ich nicht" konnte es ja auch nicht sein.
Am 10.10.10 war es dann soweit:
My Little Pony: Friendship is Magic hatte Weltpremiere.
Die fünf Channers kamen total geflasht zurück: Wider Erwarten erwies sich die Serie – bzw. die erste Hälfte des Pilotzweiteilers – als gut. Im Gegenteil, das war sogar besser als so manches andere Produkt der nordamerikanischen Animationsindustrie. Definitiv aber besser als alles, was sie von
My Little Pony erwartet hatten. Die Charaktere, die Interaktion der Charaktere, die Animation (nicht nur für Flash), die Story, die Action, die bisher entdeckten Anspielungen, der Cliffhanger – entgegen dem, was teilweise in der Animationsszene prophezeit wurde (daß Lauren Faust sich an Hasbro verkauft hatte und nun Dauerwerbesendungen machte), war das eindeutig mit Herz und Hirn gemacht von Leuten, die hinter dem standen, was sie da machten, und nicht lieblos als Auftragsarbeit heruntergekurbelt, weil man es eben mußte.
Wenn etwas erst auf 4chan landet, breitet es sich rasend aus. Erst war /co/ voll mit Ponys. Einige waren genervt (darunter viele Moderatoren, die erfolglos versuchten, gegen die Ponyflut vorzugehen), andere waren offener, dachten sich, da muß ja etwas dran sein, wenn das so erfolgreich ist, und sahen sich selbst die Serie an. Von /co/ ging es nach /b/, der einst selbsterklärten "Internet Hate Machine", wo die Auswirkungen dieselben waren, nur stärker. Und bald begannen die Ponys, sich im ganzen Internet auszubreiten – Screenshots, Imagemacros und immer mehr Memes (eigentlich Submemes, denn
My Little Pony: Friendship is Magic gilt seit damals als Ganzes als Meme).
Noch Ende 2010 wurden
zwei eigene
MLP:FiM-Imageboards gestartet, um von den Haters auf 4chan unabhängig zu sein, und ab Anfang 2011 ging es dann los mit anderen Pony-Websites. Eins der ersten Fanblogs war Equestria Daily. Schon Mitte 2011 konnte man die Besucher in 100.000er-Schritten zelebrieren, mittlerweile hat Equestria Daily wohl Millionen an Pagehits in einer Woche. Außerdem gibt es zahllose Foren, es gibt eigene Musikportale und so weiter.
Die Fan-Kreativität hat noch extremere Maße angenommen. Fanfiction gibt es zuhauf, Fanart noch mehr. Es gibt inzwischen tausende Fansongs (wobei man sagen muß, daß viel Fanmusik entsteht, indem jemand, der nie zuvor Musik gemacht hat, nach einer YouTube-Anleitung in FL Studio und Massive Dubstep-Tracks zusammenklickt und Audioschnipsel aus der Serie einbaut zwecks Ponybezug, aber es gibt auch erheblich aufwendiger produzierte Musik und sogar Songs mit ganz neu animierten Musikvideos), Fangames gibt es auch, sogar die ersten komplett von Fans produzierten Episoden, die beinahe auf dem Niveau der eigentlichen Serie sind. Das geht schon so weit, daß die Serie selbst potentielle oder tatsächliche Anspielungen auf das Fandom und seine Kreativität macht.
Fantreffen und vor allem Conventions sprengen mittlerweile auch teilweise jeden Rahmen. In den USA gibt es inzwischen etliche Conventions, zum einen, um den Bronies die Anreise zu erleichtern, zum anderen, um sie auf mehr Conventions verteilen zu können. Die erste kontinentaleuropäische Convention war 2012 die GalaCon in Stuttgart, die mit 400 Besuchern ausverkauft war (die BroNYCon in New York hatte zeitgleich 4.000 Besucher). Die bisher größte Convention war die 2013er Bronycon, nunmehr in Baltimore, mit 8.000 Besuchern. Dieses Jahr soll es in Kontinentaleuropa mindestens vier Conventions geben sowie eine in Großbritannien.
Wohlgemerkt, es dreht sich immer noch alles nur um diese eine Generation von
My Little Pony.
2012 begann übrigens die Produktion einer 2013 endlich veröffentlichten Dokumentation über Bronies, produziert von John "Q"/"Discord" de Lancie himself. Nach seinem Auftritt als Discord, den er als Routinesache ansah, mußte er feststellen, daß sein Mailkonto von Fanmails überflutet wurde. Das waren aber keine Trekkies, sondern Bronies. Das Bronyphänomen, das er dadurch entdeckte, faszinierte ihn so, daß er beschloß, eine Dokumentation zu drehen. Finanziert wurde sie per Crowdfunding – und nahm dadurch schon erheblich mehr Geld ein als notwendig. Der animierte Song in der Doku, in dem John nicht als Discord, sondern als er selbst als Pony auftritt und die Bronyszene kurz erklärt, wurde gemacht als Kooperation mit Bronies und mit Machern der Serie.
← Das da sind keine Klaviertasten. Es sind Synthesizertasten. Doch, da gibt es Unterschiede.
Ich kann es euch erklären. Ich kann es aber nicht für euch verstehen. Das müßt ihr schon selbst tun.
INTJ nach Myers-Briggs