Wenona hat geschrieben:Im ICE sitzt dir jemand im 4er-Abteil gegenüber, worüber könnte man sich unterhalten?
Gut, die konkrete Situation ist bei mir höchst unwahrscheinlich. Im ICE reise ich nur, wenn es gar nicht anders geht; ich bevorzuge den Komfort ausländischen EuroCity-Materials (Schweiz, Dänemark, Tschechien, Ungarn, Österreich), bei Fahrten nach Süddeutschland aus Stilgründen (Linke Rheinstrecke) auch klassisches deutsches InterCity-Wagenmaterial (ex Trans-Europ-Expreß). Im Fernverkehr nutze ich wiederum fast immer die 1. Klasse, die selten so voll ist, daß sich irgendjemand mit mir eine Sitzgruppe teilen muß.
Und ich setze mich fast nie allein in eine Vierer-Vis-à-vis-Sitzgruppe. Im Fernverkehr tue ich das nur, wenn es nichts anderes gibt, was auf die 1. Klasse nicht zutrifft (oder wenn im Schweizer EC, der nur Vis-à-vis-Bestuhlung hat, alle drei Wagen 1. Klasse mit der Seite zum Rhein gedreht sind, auf der jeweils zwei Sitze nebeneinander sind). Kurz-InterCitys mit nur einem Wagen 1. Klasse meide ich auch nach Möglichkeit, denn das ist fast immer ein Abteilwagen (9 Abteile à 6 Plätze, trotzdem könnten neun Passagiere den Wagen für mich unbenutzbar auslasten). Ab zwei Wagen in der 1. Klasse ist in deutschen InterCitys praktisch immer einer ein Großraumwagen mit erheblich kleinteiliger Innenaufteilung. Sollten wider Erwarten zwei Abteilwagen die 1. Klasse bilden und in jedem Abteil jemand sitzen, suche ich mir einen Platz im kleinen 1.-Klasse-Großraum im Bistrowagen, und wenn auch das scheitert, bleibe ich stehen. Im Regionalverkehr sitze ich nur dann in einer Vis-à-vis-Gruppe mit mehr als zwei Plätzen, wenn mein Gepäck nicht in eine Zweiersitzgruppe in Reihenbestuhlung paßt oder (was auf die meisten Buntlinge zutrifft, mit denen ich nur noch höchst selten fahre, weil sie vom Aussterben bedroht sind) es wiederum nichts anderes gibt.
Bevor jemand davon ausgeht, daß ich mich freiwillig zu anderen Passagieren in eine Sitzgruppe setze: Das tue ich nicht, unter gar keinen Umständen, wie ich
im Startpost dieses Threads erläutert habe. Sobald keine einzige völlig unbesetzte Sitzgruppe mehr übrig bleibt, bleibe ich stehen, egal, wie lange ich fahren muß. (Hamburg—Stuttgart muß ich nicht stehen. Ich fahre 1. Klasse, und bis Mannheim oder Karlsruhe sitze ich in einem von drei 1.-Klasse-Großraumwagen in einem schweizerischen EuroCity.)
Daß mein reservierter Sitzplatz in einer bereits von jemand anderem belegten Sitzgruppe ist, passiert mir auch nie: Ich reserviere prinzipiell nie. Keine Ausnahme. Wenn man früh morgens in Hamburg in die großzügig bemessene 1. Klasse eines EuroCity Richtung Chur steigt, hat man eine riesige Auswahl an völlig leeren, unreservierten Sitzgruppen, so daß ich nicht nur wählen kann, ob ich in Fahrtrichtung sitze (das kann in lokbespannten Zügen nämlich nicht zuverlässig reserviert werden außer im Steuerwagen, so vorhanden), sondern auch, auf welcher Seite ich sitze (immer in Fahrtrichtung links, auf der Seite ist der Rhein).
Diese hypothetische Situation tritt also ausschließlich in der S-Bahn ein. Sie tritt auch nur dann ein, wenn ich mich in eine leere Vierergruppe gesetzt habe (die Hamburger S-Bahn hat keine Reihenbestuhlung, sondern nur Vis-à-vis und seit 1996 Mehrzweckbereiche mit Klappsitzen quer zur Fahrtrichtung) und sich dann jemand zu mir setzt. Von mir geht diese Konstellation also nie aus. Und selbst dann hält sie kaum jemals länger als 20 Minuten an. Wenn ich in einem überwiegend aus Sitzwagen gebildeten Nachtschnellzug (also nachts) von Hannover über Magdeburg (Kopfmachen, also längerer Aufenthalt) bis ungefähr Halle stehen kann, kann ich auch 20 Minuten in der S-Bahn stehen.
Generell gilt, was NBUC schrieb:
NBUC hat geschrieben:Ohne Aufhänger sehe ich da eigentlich keine sich anbietende Option.
Wenn ich keinen konkreten Grund habe, mit der Person zu sprechen, die in meiner Sitzgruppe sitzt, dann spreche ich nicht mit der Person, die in meiner Sitzgruppe sitzt. Grundlos spreche ich sie jedenfalls nicht an.
Ich kann mich nur an sehr wenige Male erinnern, die ich während einer Zugfahrt mit wildfremden Menschen gesprochen habe, die mit mir eine Sitzgruppe teilten, aber meist nicht mehr über die Themen.
In den späten 90er Jahren wurde ich am Hamburger Hauptbahnhof in einen interessanten Ticket-"Kuhhandel" verwickelt, der mir eine etwas jüngere Dame als Reisebegleitung in einem dänischen EuroCity bescherte (wir fuhren mit einem gemeinsamen Ticket, deshalb). Wir hatten auch noch beide dasselbe Reiseziel. So kamen wir schon vor der Fahrt ins Gespräch.
Einige Jahre später saß ich in einem ICE-T von Berlin nach Hamburg in einer Zweiersitzgruppe (Reihenbestuhlung, wie sie den Großteil der Sitze im ICE darstellt). Ich las eine Eisenbahnzeitschrift, die ich den Tag zuvor in einem Modellbahngeschäft gekauft hatte. Ein auf der anderen Seite des Ganges sitzender Anzugträger, der sich damit als Eisenbahnenthusiast zu erkennen gab, sprach mich auf die Ausgabe an, weil auch er das Magazin regelmäßig las. Er hatte die Ausgabe noch nicht gesehen; die mußte neu sein. Ich erklärte ihm, daß die Ausgabe erst vor zwei Tagen herausgekommen war.
Ein anderes Mal hatte ich in der S-Bahn auf dem Weg nach Hause ein Gespräch mit zwei älteren Damen, das so angeregt war, daß ich freiwillig über meine Haltestelle hinausfuhr, um es nicht abzubrechen. Das kostete mich mehr als zehn Minuten Gesamtzeit, aber das war mir egal.
Noch später wollte ich im Berlin-Warszawa-Expreß auf dem Weg nach Warschau etwas essen, aber das Bistro war voll – zumindest für meine Verhältnisse, es gab also keinen freien Tisch mehr. In einem richtigen Speisewagen wäre das nicht passiert. Letztlich erbarmte sich ein wahrhaft süßes Mädel meiner und lud mich ein, mich zu ihr an ihren Zweiertisch zu setzen. Ein bißchen ins Gespräch kamen wir, weil sie sich als Musikerin entpuppte. Allerdings hatten wir auch darin wenig gemeinsam, sie war mehr die aufstrebende Singer-Songwriterin.
Ansonsten: Fehlanzeige. Das scheint jetzt viel zu sein, aber ich fahre auch sehr, sehr viel mit der Bahn.
Ich habe auch schon so manche mögliche oder tatsächliche Gelegenheit ungenutzt gelassen. Eine Zeitlang traf ich im Bus auf dem Weg zur Arbeit eine Deutschchinesin, der ich einmal den Platz neben mir anbot in der Hoffnung, diese hübsche Asiatin möge sich im mittlerweile sehr vollen Bus zu mir setzen. Tat sie. Etwas später, in der Gegenrichtung, stieg ich in den Bus ein, der schon recht gut gefüllt war. Sie hatte bis dahin ihre Tasche neben sich auf dem Sitz liegen und bot ihn mir an, weil sie mich wohl wiedererkannte. Wieder sonst kein Wort gewechselt.
Mir ist es auch einmal passiert, daß bei einem S-Bahn-Halt, bei dem sich der Wagen ziemlich gut füllte, eine junge Frau zustieg, die sich wohl sehr beeilen mußte, um den Zug noch zu erwischen. Sie war ziemlich außer Atem, als sie sich zu mir setzte. Vielleicht kam es mir nur so vor, aber möglicherweise hauchte sie mir zwischen dem schweren Atmen ein "Hi" zu. Weil ich mir nicht sicher war, grüßte ich sie nicht (zurück). Minuten später – sie saß mir immer noch gegenüber – kam mir das unglaublich dämlich vor, aber da war es zu spät.
schwarzkaeppchen hat geschrieben:- Bezug nehmen auf ein Gespräch, das der Gegenübersitzende gerade mit einem Mitreisenden führt
Nur dann, wenn man dazu wirklich etwas beizutragen hat, was der Konversation inhaltlich förderlich ist. Ich halte nichts davon, sich in irgendein Gespräch einzumischen, nur um mit jemandem zu reden.
schwarzkaeppchen hat geschrieben:- gemeinsam über die Bahn ablästern
Oder eine Art von Gegenteil, wenn zwei Bahnenthusiasten sich treffen.
schwarzkaeppchen hat geschrieben:- sich über andere Erlebnisse bei Bahnreisen unterhalten
Wenn man ins Gespräch kommt, funktioniert das noch mit am besten, sofern man nicht nur einen Seltenfahrer vor sich hat.
schwarzkaeppchen hat geschrieben:- sich über die Lektüre des anderen/die eigene Lektüre austauschen
Wie gesagt, ist mir tatsächlich passiert.
schwarzkaeppchen hat geschrieben:- sich über andere Hobbys, die man im Zug zum Zeitvertreib dabei hat, unterhalten
Das stelle ich mir interessant vor, wenn ich mich während der Fahrt mit elektronischem Musikinstrumentarium beschäftige (ohne eingebaute Lautsprecher, weil professionelles Equipment, und mit Kopfhörer, aber trotzdem). Das habe ich schon ein-, zweimal getan, aber ein Gespräch ist noch nie entstanden.
schwarzkaeppchen hat geschrieben:Meiner Meinung nach ist es eine Sache des persönlichen Kommunikationsverhaltens und nicht des Zufalls, ob man häufig mit fremden Menschen ins Gespräch kommt oder eben nicht.
Das stimmt. Eine gute Freundin von mir ist
sehr extrovertiert und kommunikativ, geht gern auf Menschen zu und spricht gefühlt jeden an, der nicht bei drei auf dem Baum ist. Ich hingegen brauche einen guten Grund und akuten Anlaß für Kommunikation.
Übrigens, wo ich schon die Linke Rheinstrecke erwähnt habe, da gibt es eine denkbare Methode der Massenkaltansprache: Wenn man in einem mäßig ausgelasteten Großraumwagen ist und das Zugpersonal das nicht schon per Lautsprecher vorweggenommen hat, einfach mal die Passagiere im Großraum auf die in Kürze sichtbar werdende Loreley hinweisen. Auch das geht in der 1. Klasse besser, weil die Passagiere da zum einen eher daran interessiert und zum anderen entspannter und weniger genervt sind. (Der Typ "Gestreßter Manager" sitzt nicht im InterCity oder EuroCity auf der Linken Rheinstrecke, der im Mittelrheintal abschnittsweise nicht mehr fahren darf als 120 km/h, sondern auf der gleichen Verbindung in einem ICE 3, der mit 300 km/h über die Neubaustrecke Köln—Frankfurt fährt.)
Allerdings wird das kaum zu einem längeren Gespräch führen – außer man ist Richtung Norden unterwegs und kennt sich gut mit den Burgen, Ruinen und anderen Bauwerken entlang des Mittelrheins aus.
marwie hat geschrieben:Bei uns in der Schweiz ist es idr. unüblich, sich mit Fremden im Zug zu unterhalten.
Wer das möchte, dem empfehle ich, in die USA zu fliegen und eine Fahrt mit einem der Transkontinentalzüge von Amtrak zu machen. Das ist gewissermaßen eine Schienenkreuzfahrt durch Flyover Country. Aber die Amerikaner sind völlig anders drauf als wir Deutschen, zumal in den Transkontinentalzüge eher ältere, kontaktfreudigere Semester sitzen. Wenn die erfahren, daß man kein Amerikaner ist, werden die sofort neugierig und gesprächig: Hey, Sie sind aus Europa, woher kommen Sie denn, wie ist es da so, was machen Sie denn hier in Amerika, wie finden Sie hier die Gegend, erzählen Sie doch mal!
Aber es gibt auch Länder in Europa, wo die Menschen offener sind als etwa in der Schweiz oder im unterkühlten Norddeutschland.
Brax hat geschrieben:marwie hat geschrieben:Das grösste Problem ist heute, dass viele Leute auf ihr Smartphone schauen und Kopfhörer anhaben, da ist die Hürde zum Ansprechen ziemlich gross...
In dem Fall würde ich diese Personen nicht ansprechen. Wenn jemand sich unterhalten möchten, dann schottet er sich nicht so ab. Oft haben Leute ja gerade auch deshalb Kopfhörer auf, weil sie eben NICHT angesprochen werden möchten und ihre Ruhe haben wollen.
Smartphone trifft auf mich eher nicht zu; für dauerhafte Unterhaltung ist der Bildschirm zu klein, und nicht immer ist die Netzabdeckung gut genug. (WLAN in Zügen traue ich nicht, es muß schon UMTS sein.)
Kopf- bzw. eher Ohrhörer trifft auf mich um so häufiger zu, wobei diese nicht an mein Smartphone angeschlossen sind, weil Smartphones für meine Art des Musikhörens untauglich sind. Manchmal brauche ich einfach musikalische Untermalung, etwa zur Einstimmung auf Fanconventions, oder so manche Strecke hat so ihren Soundtrack.
← Das da sind keine Klaviertasten. Es sind Synthesizertasten. Doch, da gibt es Unterschiede.
Ich kann es euch erklären. Ich kann es aber nicht für euch verstehen. Das müßt ihr schon selbst tun.
INTJ nach Myers-Briggs