Und Danke an Nr. 4
Plädoyer für mehr ANGST
Hab mehr Angst. Hab Angst, trotz deiner Jugend, deines Mutes, deiner Hoffnungen. Ein langer Weg liegt vor dir, ein Leben voller Gelegenheiten, Zufälle, Überraschungen, Menschen, Freunde, Liebhaber, die dir begegnen werden. Hab Angst sie zu verpassen.
Hab Angst davor, das Leben als unerschöpflich zu betrachten. Als einen Ozean voller endlos sprudelnder Gelegenheiten. Hab Angst vor der Knappheit des Lebens, davor, dass es nicht immer großzügig, nicht immer reichhaltig sein wird. Nach 7 reichen Jahren folgen manchmal 70 karge Jahre, Zeiten ohne Überraschungen, ohne Hoffnungen, ohne Lachen, ohne Sonnenschein.
Hab Angst davor, dass dir die früh begegneten Menschen dir auf deinem Weg abhanden kommen könnten. Davor, dass du irgendwann kehrtmachen musst auf diesem Weg, zurückgehen und sie wie verrückt suchen. Hab Angst davor, durch das Leben zu gehen, mit einem unersättlichen Wunsch nach einem dich vervollkommnenden Anderen, Besseren, Neuen. Angst vor einer Sehnsucht, die dich die Begegnung mit dem Leben immer und immer wieder aufschieben lässt.
Hab Angst davor, eines Tages zu später Abendstunde mutterseelenallein zurückzubleiben mit den kläglichen Erinnerungen an sinnlos vergeudete Freundschaften, wahllos aussortierte Mitmenschen, verschwenderisch verbrauchte Verliebtheiten. Es könnte sein, dass dann niemand mehr bei dir ist. Niemand, der dir wichtig und richtig wäre.
Hab Angst davor, eines Tages zu später Abendstunde, niemanden zu haben. Niemanden, an den du deinen müden Körper anlehnen, dem du mit abgeschlagener Stimme von deinem Tag erzählen kannst, sein Arm um deine Schultern, dein Kopf an seiner Schulter, ein Jemand, der wortlos deinen Rücken krault. Hab Angst, den einen Menschen zu verpassen, dem die eine Liebe innewohnt, die dem vor dir liegenden und zu gehenden Weg standzuhalten vermag. Hab Angst, ihn nicht zu erkennen, ihn zu verkennen, ihn nicht wertzuschätzen, seine Einzigartigkeit, Unvergleichlichkeit nicht zu verstehen.
Hab Angst davor, dass du nicht erkennst, dass die Sterne für dich leuchten. Jetzt. Und nicht erst, wenn es zu spät ist und du versuchst die besonderen Momente, die besonderen Menschen deines Lebens, wie eine längst gestorbene Sternschnuppe mit dem Teleskop, einzufangen. Ehe du dich versiehst, wird „Eines Tages“ sehr bald „Es war einmal“ sein. Habe Angst vor der dahineilenden Zeit.