Schlaganfall und die Reha danach

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ERSTER BEITRAG DES THEMAS
Cylon

Schlaganfall und die Reha danach

Beitrag von Cylon »

Wer sich dafür interessiert, was ich in den letzten Monate erlebt habe, möchte ich auf die Schnelle und stark verkürzt hier darstellen.

Im Oktober hatte ich meinen zweiten Schlaganfall. Vorgeschichte und Krankenhausaufenthalt sind dabei nicht so interessant - im Gegensatz zur Reha.

Ich habe am Anfang einen Test mitmachen müssen, um meine kognitiven Fähigkeiten einzuschätzen. Er war grottenschlecht. Die Oberärztin sagte mir, ich könne nicht mehr in Zukunft in meinem Job (Informatik) arbeiten. Eher etwas auf niedrigeren Niveau. Oder besser noch etwas, was kaum intellektuellen Anspruch hat. Bei einer späteren Visite mit dem Chefarzt, sagte der mir, dass ich aufgrund der Gehirnschädigungen (die ich schon lange habe) Epilepsie habe, dass ich Depressionen habe und dass das Studium extrem lange gedauert hat. Und ich könne ja die Frühverrentung beantragen. Die wäre knapp über Hartz 4. Ich dachte nur, so will ich nicht leben. Nie Geld verdienen. Als minderbemittelt gelten, einen stumpfsinnigen Job machen. Und die Depressionen, und nie eine Freundin, und keine Freunde...

Bei einer Reha lernt man viele verschiedene Leute. Ich meine nicht nur die Mitpatienten, vor allem die Therapeuten wie meine Logopädin - eine junge, extrem gutaussehende Frau. Überhaupt, die waren alle sehr jung, meistens in den 20ern. Sie war sehr freundlich zu mir in der Therapie. Und sie hatte Plexiglas zwischen uns. Dadurch konnte man die Maske absetzen. Schön. Ich hatte Wortfindungsstörungen. Dazu musste ich dann zu allen Buchstaben ein Tier nennen. Bei C wusste ich z.B. keines. Sie sagte dann: "Ich soll an ein Tier denken, dass seine Farbe wechseln kann". Dann fiel es mir ein. Wir haben dann noch eine Tabu-Variante gespielt und ich anhand von kleinen Bildern erklären musste, wie ich Pasta mit Pesto mache. Sie sagte dann noch, dass ich zu kompliziert denke und perfektionistisch wäre. Ich glaube, bei ihr hätte ich keine Schnitte gehabt im realen Leben. Fast genauso gut gefallen hat mir die Logopädin aus der Sprachgruppe. Auch gutaussehend und jung. Auch keine Chance.

Bei den Physiotherapeuten sind tatsächlich auch Männer. Aber ich hatte eine Therapeutin. Meine rechte Seite war gelähmt! Die Physio war im Gegensatz zu den Logos etwas kleiner als ich. Natürlich sah sie gut aus und war während der Therapie sehr nett. Sie hat mich auch gefragt, ob wir uns duzen sollen. Ich sagte ja, und sie stellte sich mit Marie vor. Ich musste dann über kleine Wippen gehen, auf Wackelbrettern stehen und ich rannte auch mit ihr. Mein Laufbild wurde immer bessser. Das humpelnde Gehen normalisierte sich wieder.

Und dann war sie noch da: Nicole, die Ergotherapeutin. Natürlich relativ jung und auf jeden Fall attraktiv. Sie duzte sofort. Sehr gut. Ich habe die Therapien gemacht und sie fragte dann, wo ich Defizite bei mir sah bezogen auf den rechten Arm. Ich mag Volleyballerinnen. Ich sagte ihr, dass ich nicht mehr Volleyball spielen kann, weil ich z.B. die Angabe nicht mehr weit genug schlagen kann. Ich kam nur noch bis zur Hälfte. Ich sollte dann den Ball von der rechten in die linke Hand werfen und umgedreht. Dabei sollte ich den Flur entlang gehen und sie begleitete mich. Alleine deswegen war ich nervös und das sah bestimmt lustig aus: Kleiner Mann mit großer Frau. Sie ist schätzungsweise 15 cm größer als ich. Wirklich, eine traumhafte Frau. Zu ihr hatte ich das beste Verhältnis. Wir hatten uns mal über Spiele unterhalten und so kam es dazu, dass sie eine Variante von Ubongo mitbrachte. Dabei muss man Felder mit Plättchen ausfüllen. Erst die Felder mit drei Plättchen, dann mit vier Plättchen usw. Ich konnte nur die mit drei Plättchen lösen. Sie fragte, was ich denn beruflich mache. Ohne richtig zuzuhören sagte sie zu mir: "Es wird sehr lange dauern bis du deine alten geistigen Fähigkeiten hast. Du lebst hier in einer Blase. Du bekommst hier das Essen, zu Hause musst du das selber machen. Ich weiß nicht, ob du das kannst. Und wenn du deine Freunde triffst, dann...ach" Sie meinte wohl, ich sei zu dumm für die Welt. Sie hörte sich traurig an. Ich habe dann auf dem Zimmer gedacht, dass Ubongo nicht mein Leben bestimmen soll. Ich hasse das Spiel.

Am nächsten Tag war Visite mit der Oberärztin. Sie war gut drauf. All meine Therapeuten wären voll des Lobes. Ich meinte, dass die Ärztin im Krankenhaus sagte, ich hätte das Gehirn eines alten Mannes. Sie sagte lächelnd, dass es darauf ankommt, was man draus macht. Man sieht einen alten Mann, der abgemagert und kränklich aussieht. Und am nächsten Tag läuft er einen Marathon.
In der nächsten Woche am Dienstag sprach ich Nicole noch mal an. Im Gespräch erzählte sie mir, dass ich mich richtig gut gemacht. Ich wäre viel offener, lockerer und es würde viel mehr Spaß machen mit mir zu arbeiten.

Es war die letzte Woche. Ich hatte zwei Termine bei den Neuropsychologen mit Tests und einen Termin zur Besprechung. Und siehe da, die Testergebnisse waren durchaus positiv. Bei den den Tests zu den Exekutivfunktionen (Türme von London) hatte ich 93 von 100 Punkten. Bei Regeln erkennen und logisches Denken hatte ich 84 Punkte. Ab 85 Punkten gab es die Höchstwertung. Ich war zufrieden und glücklich, zumal die Psychologin sagte, ich könne ganz normal arbeiten. Allerdings wären meine Ergebnisse zu langsam. Das müsste man noch trainieren.
Am Freitag war wieder Visite mit der Oberärztin. Sie hatte nichts positives, nur negatives. Im Rausgehen bezweifelte sie die Aussagekraft solcher Tests. Ich hatte dann noch Nicole. Sie war von der Oberärztin irritiert, meinte außerdem, dass Sorgfalt besser sein sollte als Schnelligkeit. Ich glaube, sie wollte mir wohl Mut machen.

Es näherte sich der Abreisetag. Alle anderen waren froh, dass es nach Hause ging. Ich war traurig. Es war vorbei.
Ich war ein paar Woche ohne Depressionen. Ein ganz neues Gefühl. So leben also gesunde Menschen, so fühlen also normale Menschen. Die Tage danach waren grausam. Die Depressionen kamen zurück - nur härter.
Das war vor drei Wochen. Mein Leben hat mich wieder. Leider. Die Leere, die Einsamkeit, die Angst, das Wissen um die Chancenlosigkeit sind wieder da.

ERSTER BEITRAG DES THEMAS
schmog

Re: Schlaganfall und die Reha danach

Beitrag von schmog »

Cylon hat geschrieben: 17 Jan 2021 11:18 Es näherte sich der Abreisetag. Alle anderen waren froh, dass es nach Hause ging. Ich war traurig. Es war vorbei.
Ich war ein paar Woche ohne Depressionen. Ein ganz neues Gefühl.
So leben also gesunde Menschen, so fühlen also normale Menschen. Die Tage danach waren grausam. Die Depressionen kamen zurück - nur härter.
Das war vor drei Wochen. Mein Leben hat mich wieder. Leider. Die Leere, die Einsamkeit, die Angst, das Wissen um die Chancenlosigkeit sind wieder da.
Bedrückend und aufwühlend! :?

Wünsche gute Besserung! :vielglueck:

Es geht mit als Tumorpatient ähnlich!
Nach über 6 Wochen (fast depressionsfreie) Reha (sehr nettes Personal, liebe Schwestern, Hotelverpflegung, Erholung, aufbauende Therapien) fiel ich in ein Loch und vereinsamte erneut zu Hause im grossen Haus.

Unterstehender Grundsatz unseres überteuren Gesundheitswesens geht leider nicht für alle auf. Für mich jedenfalls nicht!
Ziel des Aufenthaltes ist es, die Patienten möglichst beschwerdefrei und individuell leistungsverbessert in das eigene familiäre, berufliche und soziale Umfeld zurückzuführen.

Total vereinsamte Patienten wie ich fallen psychosozial zwischen Stuhl und Bank. Sie haben mir im Moment mein Leben gerettet, nur WO bleibt meine Lebensqualität ??? Überleben tut eine Fliege auch ....
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selina
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Re: Schlaganfall und die Reha danach

Beitrag von selina »

schmog hat geschrieben: 17 Jan 2021 11:25

Bedrückend und aufwühlend! :?

Wünsche gute Besserung! :vielglueck:
Da schließe ich mich an. Besonders weil ich wirklich nicht weiss was ich dazu schreiben könnte.
Mir fällt absolut nichts Aufbauendes oder Aufmunterndes ein, was nicht völlig abgedroschen nach Kalenderblatt klingt.

Wünsche dir Cylon und auch dir schmog von Herzen gute Besserung. :umarmung2:
Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Nougat
schmog

Re: Schlaganfall und die Reha danach

Beitrag von schmog »

selina hat geschrieben: 17 Jan 2021 11:57
schmog hat geschrieben: 17 Jan 2021 11:25

Bedrückend und aufwühlend! :?

Wünsche gute Besserung! :vielglueck:
Da schließe ich mich an. Besonders weil ich wirklich nicht weiss was ich dazu schreiben könnte.
Mir fällt absolut nichts Aufbauendes oder Aufmunterndes ein, was nicht völlig abgedroschen nach Kalenderblatt klingt.

Wünsche dir Cylon und auch dir schmog von Herzen gute Besserung. :umarmung2:
Danke sehr! :)
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Antonia
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Re: Schlaganfall und die Reha danach

Beitrag von Antonia »

Cylon, du scheinst ja in der Reha richtig aufgeblüht zu sein, weil du u.a. unter so vielen freundlichen Menschen warst, die dir alle wohlgesonnen waren. Ich könnte mir vorstellen, dass es dir in einem Wohnprojekt viel besser gehen würde, weil die Einsamkeit wahrscheinlich das Schlimmste für dich ist. Wäre das eine Option für dich?

Ich wünsche dir gute Besserung! Alles Gute für dich! :vielglueck:

Und für schmoggie natürlich auch, weiterhin gute Besserung! :vielglueck:
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der eine sah nur Schmutz, der andere die Sterne.
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Re: Schlaganfall und die Reha danach

Beitrag von Hoppala »

Antonia hat geschrieben: 17 Jan 2021 12:18freundlichen Menschen warst, die dir alle wohlgesonnen waren.
Ich würde das nach den Beschreibungen als zentralen Faktor für die Veränderung im emotionalen Wohlfühlen sehen. Gilt vielleicht nicht für jeden, aber da, wo die Effekte so deutlich sind ...
Nun gibt es "freundlich wohlgesinnte Menschen" nicht auf Rezept. Generell ist bei allen psychisch/psychiatrisch angelegten Therapien immer stillschweigend im Hintergrund die Annahme, dass das "soziale Umfeld" einschließlich Arbeitskollegen die Therapie stützt und bei der heimischen Regeneration hilft. Menschen, die sowas nicht haben, sind nicht wirklich vorgesehen bzw. da fehlt dann ein Teil für die dauerhafte positive Wirkung.

Die Folgerung kann doch nur lauten:
Nutz den kleinen inneren Aufschwung, um Menschen in dein Umfeld "zu holen". Sich jetzt wieder wie gewohnt nach Haus zurückzuziehen, ist gerad das Falsche. Dabei ist erst mal ziemlich egal, welches "Thema" der Aufhänger" ist - Hauptsache freundliche Menschen. Vielleicht irgendwas ehrenamtlich anfangen, in einem Team? Auch wenn es eben nich tum "die Sache" geht, sondern um die Menschen, denen man begegnet.

Und: dass freundliche, wohlmeinende Begegnung so einen positiven Effekt auf Menschen haben kann, ist für mich zum Beispiel schon seit langem Anlass, selbst auf absolut jeden initial freundliche und wohlmeinend zuzugehen.
Manchmal stellt man fest, dass die Menschen leider doch eher was vor den Latz brauchen. Aber das darf die Erst-Annahme nicht trüben, dass da jemandem durch schlichte Freundlichkeit gut getan werden kann.

Dass, was man von Menschen erfahren will, muss man selbst in die Welt geben.

@Cylon: wissen sie in der Klinik, dass du ohne geeignetes Umfeld bist? Haben sie dir nicht Gesprächsgruppen/Aktivitätsgruppen/Nach-Reha-Gruppen etc. empfohlen? Am Ball bleiben, wenn du merkst, was dir gut tut!
Und anscheinend brauchst du auch ne Aufgabe, die dich fordert - ohne dass es zu dramatisch ist, wenn es dann im ersten Anlauf nicht gelingt.

Ein Bekannter von mir ist vor Jahren auch mit Schlaganfall aus dem Beruf gefallen (aber deutlich älter als du). Da er versierter Hobbyhandwerker ist, wird er für alle möglichen Reparaturen empfohlen. Er braucht seine Zeit und nimmt sie sich, man darf es nicht eilig haben. Aber am Ende läuft wieder alles, alle sind glücklich - und freundlich ist man dann zu dem Mann sowieso! :-)
Ist nicht als Empfehlung gemeint - nur als Beispiel.
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Calliandra
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Re: Schlaganfall und die Reha danach

Beitrag von Calliandra »

Cylon, tut mir leid, was du da mitmachen musstest! Zwei Schlaganfälle in jungen Jahren sind echt schlimm. :?
Aber toll, wie du dich in der Reha geschlagen hast und dass du da auch den Zustand bezüglich deiner Depressionen verbessern konntest.
Ich finde die Vorschläge gut, mal zu überlegen, ob vielleicht Wohnprojekte oder/und Selbsthilfegruppen/Gesprächsgruppen was sein könnten, um nicht wieder im Alltag in die Einsamkeit zu verfallen und deine Fortschritte zu gefährden.
Gute Besserung :vielglueck: