Kolinatan hat geschrieben: ↑15 Jun 2023 08:34
Lilia hat geschrieben: ↑15 Jun 2023 07:26"Ich bin ein lieber AB, dessen Beziehungspotential nur noch nicht erkannt wurde?"
Glaubst Du wirklich, dass nach dem "Gewitter" um diese Umfrage auch nur ein Mann so dumm wäre zuzugeben, dass er keine Ahnung hat, wie er in einer Stressreaktion wirklich agieren wird? Ganz zu schweigen davon, dass er sich vorstellen kann, dass auch ihm "die Hand ausrutscht"?
Die wenigsten Menschen lernen, wie sie in einer Stressreaktion deeskalierend wirken können. Die wenigen Menschen, welche so etwas lernen, dürften bei der Polizei als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen arbeiten. Kindern, wenn sie nicht gerade das Glück haben in eine
Giraffen-Schule zu gehen, werden nicht lernen, wie sie sich selbst runter regulieren und auch in einer Stresssituation gelassen bleiben und sich gewaltfreier Methoden zu bedienen.
Wenn ich Deinen Beitrag lese, entsteht bei mir nicht die Erwartung, mit Du offen darüber sprechen möchtest, wie Mann in die Lage gelangt auch in einer noch so stressigen Beziehungssituation die Aufgabe der Deeskalation zu übernehmen und wie Mann und Frau gemeinsam lernen Konflikte gewaltfrei zu lösen. In mir weckt Dein Beitrag eher die Erwartung, dass Du einen Mann - sollte er zugeben nicht sicher zu wissen ob ihm eventuell die "Hand ausrutschen" könnte - von Dir sofort verurteilt und mindestens zu einem Psychologen in die "Behandlung" überwiesen würde, wenn er nicht gleich eingesperrt werden sollte.
Aus meiner Sicht ist die von Dir gewählte Strategie wenig zielführend, um ein Bewusstsein für Gewalt zu etablieren, indem Du von Männern eine Erklärung für eine Situation einforderst, welche sie weder kennen noch wirklich eine Vorstellung davon haben, wie es ihnen in dieser Situation gehen würde. Aus meiner Sicht steht in Deinem Betrag vor allem der Subtext: "Du bist wie jeder Mann, ein potenzieller Gewalttäter, gib es endlich zu."
Wenn es Dir nicht darum geht Männer zu verurteilen, würde ich mich freuen darüber zu lesen, warum es Dir wichtig ist auch bei Männern das Bewusstsein zu stärken, dass sie vielfältige Strategien erlernen - so wie Frau diese auch erlernen sollte, es hilft immer wenn beide Seiten zur Deeskalation in der Lage sind -, um in Konfliktsituationen so reagieren zu können, wie sie es sich von selbst wünschen und es ihrem Anspruch an sich selbst entspricht: Ohne Gewalt und in einem verbinden, kommunikativen Miteinander.
Mir geht es nicht um eine Verurteilung. Ich denke, dass man um etwas verändern zu können, zunächst einmal die Ursachen verstehen und begreifen muss, dass man das Bild, das man von sich selbst hat, ganz schnell wie eine Seifenblase zerplatzen kann.
Um mal von der Männer-Frauen-Kiste abzurücken und zu verdeutlichen, was ich meine: ich hab momentan sehr viel mit Geflüchteten zu tun. Eine geflüchtete Frau trat sehr aggressiv auf, schimpfte, wie dreckig alles wäre, überall wäre Ungeziefer. Als Beweis schleppte sie irgendwelche harmlosen Insekten an. Alle in ihrem Umfeld waren genervt, auch ich. Sie brachte meinen Zeitplan durcheinander, schätzte nicht die Unterstützung, die Zeit, das Geld, mit der man ihr zu helfen versuchte. Und da ich nur wenig Erfahrung hatte, hatte ich keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte und hatte sie gedanklich schon mehr als einmal ...
Letztendlich holte jemand mit kühlerem Kopf einen Kammerjäger und der tat folgendes: er besprühte die Umgebung mit irgendetwas Undefinierbaren und ließ der Frau sagen, es wäre genau ein Insekt dagewesen, das die Frau gepiesakt hat, aber das wäre jetzt tot. Seitdem ist Ruhe.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass mein ganzer Ärger gegen die Frau nur deswegen entstanden ist, weil ich komplett überfordert war und mir keinen Kopf gemacht hatte, wie ich in einer solchen Situation hätte reagieren können. Natürlich war mir klar, dass ich es mit jemanden zu tun hatte, der lange Zeit im Keller oder sonstwo gehaust hat. Aber dass ich war wenig darauf vorbereitet, dass ich zu den Gedanken fähig war, die ich im Umgag mit der Frau hatte. Hätte ich einen klaren Kopf gehabt, hätte vor mir selbst zugegeben, dass es Situationen der Überforderung geben kann, hätte ich mir vorher Strategien überlegt, wie ich da reagieren kann, hätte ich mir diese zwar nur auf gedanklicher Ebene gebliebenen, aber ja doch vorhandenen Aggressionen sparen können.
An Männer wird immer die Forderung gestellt, alles "im Griff haben" zu müssen. Für mich ist das logisch, dass man dann vielleicht noch weniger vor sich zugeben kann, dass man in einer Beziehung überfordert sein könnte. Wenn ich jetzt zur Befragung zurückgehe, weiß ich nicht, ob diejenigen, die sagen, dass sie sich
vorstellen können, eine Partnerin zu schlagen, um ihr Respekt einzuflößen, nicht sogar diejenigen sind, die einen Schritt weiter als die anderen sind. Es heißt ja nicht, dass sie es tun würden,vielleicht ist ihnen ihre eigene Unzulänglichkeit nur bewusster, während die anderen noch ihr Selbstbild polieren.
Anders als du denke ich nicht, dass man irgendwelche speziellen Ausbildungen braucht (das geht schon wieder in die Richtung "im Griff haben" bzw. auch, eine Entschuldigung suchen: "er hatte ja keine Ausbildung darin, daher ging es ja nicht anders..."), sondern ich denke, dass wir unsere (Eigen-)Erwartungen ändern müssten, immer perfekt auf alles vorbereitet zu sein, alles erwartungsgemäß läuft, damit wir flexibler reagieren können.
Speziell zu diesem Thema bedeutet das folgendes: Jungs werden schon früh darauf getrimmt: "Mädchen (Frauen) schlägt man nicht!" (btw: warum nur Mädchen?). Was, wenn es doch passiert? Das Problem ist doch, dass das genauso für den Täter wie das Opfer ein Tabuthema ist. Das macht man nicht; Folge: man spricht nicht drüber; Folge: man tut nichts dagegen, es bleibt wie es ist! Selbst präventiv wird kaum etwas getan, wir haben uns ja alle so gut im Griff, regen uns jetzt etwas über die auf, die es nicht tun und in spätestens 2 Wochen beschäftigen wir uns mit etwas anderem.