Hareton Earnshaw hat geschrieben:Einsamer Igel hat geschrieben:Derzeit hätte ich ja Interesse an einem Krokodil, das in Berlin gestrandet ist.
Gibt es irgendwelche "Trainspotting"- oder sonst irgendwie eisenbahnlastigen Aktivitäten in deiner Nähe? Ein Kommilitone bei mir im Studium war damals regelmäßig auf einem Eisenbahner-Stammtisch (rein aus Interesse). So wie ich es verstanden hatte, waren da ausschließlich Männer und er war der einzige "junge".
Oh, da kann es
sehr freaky werden. (Übrigens heißen diese Leute im Deutschen nicht Trainspotters, sondern Fuzzis.)
Zum einen sind auch bei denen meist die Ansprüche an die fotografische Qualität immens. Sie berufen sich auf Meister wie Georg Wagner und Carl Bellingrodt, und es gibt sehr viel, was bei denen nicht durchgeht. Falsche Ausleuchtung, irgendein Oberleitungsmast, Signal, Schild oder Gewächs im Weg (was ganze potentielle Fuzzstellen unbrauchbar machen kann), Luftkissenbilder (alles, wo der Bahnsteig das Fahrwerk großenteils oder komplett verdeckt, Fahrzeugportraits im allgemeinen (sind was für Anfänger und stinklangweilig, sogar Exoten werden nur unter optimalen Bedingungen auf der Strecke gejagt; Dampfloks können eine Ausnahme sein, aber dann bitte mit "Stangen unten"), "Fremdkörper" in Nostalgiezügen etc. Geschobene Wendezüge (inkl. ICE 2) können überhaupt nicht fotografiert werden, denn von vorn ist der Steuerwagen vorn im Bild und das schiebende Triebfahrzeug kaum zu sehen, und von hinten ist es ein Nachschuß, der allgemein böse ist.
Zum anderen spricht man in diesen Kreisen einen sehr verwirrenden Jargon. Die Fachsprache ist ja eine Sache, denn die meisten Fuzzis haben von Eisenbahn wirklich viel Ahnung. Wenn der Volksmund anders spricht als der Bahnbedienstete, redet der Fuzzi wie letzterer. Beispiele: Wer fährt den Zug? Viele sagen "Lokführer", die ganz Ahnungslosen sagen "Zugführer", was meistens komplett falsch ist, offiziell heißt es "Triebfahrzeugführer", die offizielle Abkürzung ist "Tf", also sagt der Fuzzi "Tf". Das Wort "Waggon" gibt es gar nicht, das Wort "Anhänger" ist noch schlimmer und existiert nur im Zusammenhang mit Kleinwagen oder in Gestalt des einachsigen Gepäckanhängers VB 141. Ansonsten heißt es "Wagen". Es heißt "kuppeln" und nicht "koppeln", "Signal" und nicht etwa "Ampel", die "Schiene" ist ein Teil des "Gleises" (großer Unterschied) usw. usf.
Dann kommen Abkürzungen und Fahrzeugbezeichnungen. Fuzzis kennen annähernd jedes Triebfahrzeug da draußen bei seiner Bezeichnung, und die ist meistens für Außenstehende nur eine Zahl. Viele können sogar Wagen entsprechend benennen. Häufig nennt man auch offizielle Herstellerbezeichnungen (TRAXX, FLIRT, LINT, Desiro, Gravita...), seltene Bezeichnungen seitens Bahngesellschaften ("Taurus" für alle Siemens ES64U, ES64U2 und sogar ES64U4, auch wenn es nur korrekt ist für die 1016 und 1116 der ÖBB) oder, noch schlimmer, Spitznamen (Ludmilla, Desastro, Quietschie, Heiliger ET, Mopsgesicht, Grinsekatz, Hamsterbacke, Stromcontainer, Knallfrosch, Krabbenkutter...). In der Fachsprache gibt es auch viele verlockende Abkürzungen, die lange Begriffe verkürzen. "Tf" für "Triebfahrzeugführer" wurde ja schon genannt. "PU" heißt nicht "Pick-up", sondern "Personenunfall". Und so weiter. Die ganz Hartgesottenen wenden die Dienststellenkürzel der DS100 beim Sprechen an; Hamburg Hbf wird da zu AH.
Als wenn das noch nicht genug wäre: Jargon. "Fuzzi" (oder "Fuzzy") stammt daher, davon abgeleitet ist die Tätigkeit "Fuzzen", der "Fuzz" (Fotoausflug), die "Fuzzstelle" (geeignete Fotostelle), manchmal sogar das "Fuzzeisen" (Kamera – im Gegensatz zum Trainspotting in England, das schriftlich erfolgt, erfolgt das Fuzzen in Deutschland fotografisch). Dann gibt's die Extreme "JuFu" (Jungfuzzi; interessiert sich nur für modernes Material, vor allem Werbeloks, kann sich nicht benehmen und fuzzt mit einem Smartphone) und "AFu" (Altfuzzi; redet immer noch in Epoche-3-Bezeichnungen, auch bei Fahrzeugen, die nach 1970 in Dienst gestellt wurden, konnte schon Ozeanblau/Beige nicht leiden, fuzzt nichts, was es zu seiner Zeit nicht gab, trauert den Fahrzeugen der Wirtschaftswunderzeit nach, nimmt jede Museumsfahrt mit, die er kann, und fuzzt mit einer alten halbautomatischen Spiegelreflexkamera auf Farbdia oder S/W-Negativ). "Luftkissenbild" wurde auch schon genannt. Der fehlgestartete Meridian in Bayern wird zum "Marodian"; die Personenverkehrstochter der DBAG hieß auch "Reise & Floristik". Das Zuführen klassischer Elektroloks zum Wertstoffkreislauf durch den Altmetallhändler Bender heißt "Verbendern". Natürlich die "planmäßige Wolke", die sich beim Fuzzen vor die Sonne schiebt. Gesellschaftssonderzüge, besonders mit Wagen von z. B. Euro-Express oder der Centralbahn, nennt man wegen des häufig stark alkoholisierten Publikums "Säuferzüge" (auch wenn sie nicht gezogen werden von der G2000 der WLE in Warsteiner-Werbung). Auch das geht immer so weiter.
Als Außenstehender wird man in Fuzzikreisen rammdösig.
← Das da sind keine Klaviertasten. Es sind Synthesizertasten. Doch, da gibt es Unterschiede.
Ich kann es euch erklären. Ich kann es aber nicht für euch verstehen. Das müßt ihr schon selbst tun.
INTJ nach Myers-Briggs